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Granatsplitter

Granatsplitter

Titel: Granatsplitter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: K Bohrer
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erschienen, waren schnell vorbei, und es ging sofort los mit den Proben.
    Als er sich Caldérons Stück Szene für Szene einverleibt hatte, dachte er noch einmal darüber nach, was für ein besonderer Mann ihr Regisseur sei. Dass er kein Interesse an den bekannten Klassikern habe, sondern sich immer etwas nicht Selbstverständliches aussuche. Einmal machte er eine Bemerkung, die einen pädagogischen Grund für seine Wahl ausdrückte: Die großen klassischen Rollen seien nichts für Schüler. Dabei käme nichts heraus. Spöttelnd benutzte er das Wort »Schulaufführung«. Das war so eine seiner Redewendungen, bei denen man plötzlich etwas dazulernte. Er begriff, dass das Wort »Schulaufführung« etwas bezeichnen sollte, das sich von einer richtigen Aufführung unterschied. Wahrscheinlich gehörte die Nathan -Aufführung für ihn zu dieser Sorte Stücke, während Dame Kobold richtiges Theater war. Solche Komödien, wozu Leonce und Lena und Wie es Euch gefällt gehörten, wären der richtige Stoff für theaterbegabte Schüler. Dabei, so dachte der Junge, waren diese Stücke eigentlich schwerer. Er stand jetzt am Ende der Untersekunda, kurz vor dem Einjährigen, und er hatte für solche Unterschiede ein klareres Verständnis als noch vor einem Jahr. Die Sprache der Dame Kobold erschien ihm eigentlich komplizierter als die von Wie es Euch gefällt , und es gab nicht den »Witz« von Rede und Antwort. Aber wovon handelte das Stück? Es ging ja wohl nicht einfach darum, dass die Personen sich in verschiedenen Zimmern voreinander versteckten und täuschten, weshalb der Diener Cosme sich vor einem Dämon, einem Kobold ängstigte. Das wäre doch zu simpel gewesen. Aber was war es? Der Deutschlehrer mit den langen Haaren erklärte ihnen, dass der Dichter die Beziehung von Schein und Wirklichkeit, von Rätsel und Bekanntheit dargestellt habe. Deshalb wüssten die Personen manchmal nicht, in welchem Zimmer des gleichen Hauses sie seien oder in welchem Haus überhaupt. Alles werde ihnen zur Täuschung. Das war auch nicht gerade selbstverständlich einzusehen. Im Gegenteil: Es war schon merkwürdig, dass des Rätsels Lösung, nämlich die nichtentdeckte Geheimtür, für so viel Aufregung sorgte. All die wunderbaren Sätze, die dem Zauber galten, erschienen ihm zwar schön, aber psychologisch wenig einleuchtend. Schon dass Dona Angela den als Kavalier eintretenden Don Manuel nach nur einmaligem Sehen nicht mehr vergessen konnte, war so phantastisch wie die Vorstellung Rechas vom Tempelherrn als Engel.
    Im Verhältnis zu seiner Bühnenpartnerin hatte sich etwas verändert. Feo kam ihm nicht mehr wie die überirdische Fee vor, die sie jetzt zu spielen hatte. Er brauchte also keine geheimen Gefühle zu unterdrücken, wenn sie ihre Dialoge miteinander wechselten, obwohl diesmal das gegenseitige Liebesgefühl in noch viel prächtigeren Bildern ausgedrückt wurde. Dies zu sprechen war für ihn eine herausfordernde Aufgabe. Aber der Don Manuel war eigentlich kein richtiger Charakter. Auch Don Luis, Don Juan, Dona Angela und Dona Claudia waren es nicht. Sie waren alle nur sehr edle Gestalten mit edlen Gefühlen. Insofern war die schauspielerisch wichtigste Figur wieder der komisch-ängstliche Charakter des Dieners Cosme, den deshalb auch Wolfgang spielte, der beste von ihnen. Feo war nicht eigentlich schön zu nennen, aber sie sah eigenwillig aus. Glatte blonde Haare, ein blasses, aber ausdrucksvolles Gesicht, eine zarte, gutgewachsene Gestalt. Und selbstbewusst. Nach wie vor sprach sie eigentlich privat kaum ein Wort mit ihm. Das hing allerdings auch damit zusammen, dass er, Adrian und zwei andere Schüler inzwischen eine Clique bildeten, die sich gegenüber den feineren Internatszirkeln schlecht, bewusst schlecht aufführte, weil sie das schlechte Benehmen für intelligent hielten. Aber noch etwas anderes war geschehen. Feo und der Lehrer mit den langen Haaren hatten eine besondere Beziehung zueinander entwickelt. Sie war jetzt fast siebzehn Jahre alt. Es war nicht klar, was für eine Beziehung das war. Aber er merkte, wie sehr seine Partnerin bei jedem Wort, das der Regisseur sagte, zuhörte. Es ärgerte ihn schon, dass sie offenbar nur für diesen großartigen Lehrer Augen hatte, wenn es ihm auch nicht mehr so viel ausmachte wie noch vor einem Jahr.
    Diesmal gehörte sein eigentliches Interesse seinem Mitspieler um die Gunst der Frauen, nämlich Rüdiger. Sie beide sprachen inzwischen in einem gereizten Ton miteinander. Ihm ging

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