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Grand Cru

Grand Cru

Titel: Grand Cru Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Walker
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schulterlang und im Nacken zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden. Er trug ein indisches Kittelhemd, Jeans und Flipflops, und um die Stirn hatte er sich ein mit Goldfäden durchwirktes, buntes Seidentuch gewickelt.
    »Willkommen, Bruno«, sagte er. »Wie wär's mit einer Tasse Tee? Oder selbstgebrautem Bier? Oder bist du gekommen, um vom neuen Käse zu probieren?«
    »Nein danke, Alphonse. Ich bin dienstlich und aus traurigem Anlass hier. Erinnerst du dich an eine Frau namens Mireille Augereau? Sie soll mal hier gewohnt haben.«
    »Mireille, ja, vor ungefähr zehn Jahren, den Sommer über und bis in den Herbst hinein. Dann ist sie weitergezogen. Sie war damals noch Studentin und hatte eine Beziehung mit einem Gründungsmitglied der Kommune, der ihr Professor gewesen war. Ich habe schon Jahre nichts mehr von ihr gehört.«
    »Und Maximilien Augereau? Ist das der Max, den ich kenne?«
    »Ja, ihr Sohn, allerdings nennt er sich Vannes, nach mir, wohl weil er bei mir groß geworden ist und kaum Kontakt zu seiner Mutter hatte, nachdem sie von hier weggezogen war. Was ist passiert?«
    »Uns wurde mitgeteilt, dass sie gestern in der Nähe von Paris bei einem Verkehrsunfall ums Leben gekommen ist. Sowohl auf ihrem Führerschein als auch auf ihrem Personalausweis ist diese Adresse hier eingetragen. Sie war als Kindergärtnerin angestellt und hatte eine Lebensversicherung zugunsten ihres Sohnes Max abgeschlossen. Es scheint, dass er ein hübsches Sümmchen zu erwarten hat.«
    »Oje, ihr Tod wird ein Schlag für ihn sein, obwohl er nicht viel von ihr gehabt hat, eine oder zwei Glückwunschkarten zum Geburtstag, wenn sie mal nüchtern und von den Drogen runter war und sich an ihn erinnert hat.«
    »Sie hat ihn einfach hier bei dir zurückgelassen?«
    Alphonse nickte. »Sie hatte jemand Neues kennengelernt, auf dem Markt. Wir hatten damals angefangen, unsern Käse zu verkaufen, und sie ging damit auf den Markt. Ein hübsches Gesicht hilft immer, außerdem sprach sie ein bisschen Englisch und konnte sich mit den Touristen unterhalten. Tja, und dann sagte sie eines Tages, sie wolle mit diesem Neuen ans Meer fahren, nur übers Wochenende, aber zurückgekommen ist sie nie mehr. Und Max, nun ja, er war inzwischen Teil der Familie und ist geblieben.«
    »Gab's einen Vater? Eine Geburtsurkunde? Was steht auf Maxens Ausweis?«
    »Als sein Vormund bin ich eingetragen. Mireille hat nie erwähnt, wer sein Erzeuger ist. Sie war ein wildes Mädchen, Bruno. Wahrscheinlich wusste sie selbst nicht, wem sie ihren Sohn verdankte.«
    »Wo ist Max jetzt? Arbeitet er noch in Huberts
cave?«
    »Zurzeit wird er draußen beim alten Cresseil sein und ihm bei der Arbeit im Weinberg helfen. Das tut er am liebsten, abgesehen von Rugby, Computerspielen und Mädchen-Hinterherlaufen. Er will selbst Winzer werden, darum schaut er Cresseil über die Schulter, bis es an der Uni wieder weitergeht. Er ist ein guter Junge, Bruno.«
    Bruno nickte. Er mochte Max und kannte ihn als jemanden, der sich auf dem Rugbyfeld austobte, aber ansonsten friedlich war und keine Feinde hatte. Er spielte in der zweiten Mannschaft im Mittelfeld, war schnell und wendig und bei Tacklings sehr entschlossen.
    »Dann werde ich mal zu ihm gehen und ihm die schlechte Nachricht überbringen«, sagte Bruno. »Oder würdest lieber du das machen? Er hat sie zwar kaum gekannt, aber seine Mutter zu verlieren, ist immer hart.«
    »Ich muss sowieso in die Stadt und komme mit dir. Gib mir fünf Minuten Zeit zum Umziehen. Derweil könntest du ein Stück vom neuen Käse probieren. Du weißt ja, wo er liegt. Frisches Brot findest du da auch.«
    Alphonse verschwand in der Kuppel, und Bruno betrat die dunkle Scheune, in der es nach Ziegen, Jauche und gärender Milch roch. Die meisten Käselaibe lagerten in der Kühlkammer weiter hinten, doch die jüngsten Erzeugnisse reihten sich noch auf der langen Werkbank, frische
crottins,
jene kleinen runden Scheiben, die in verschiedenen Reifegraden verkauft wurden. Auf einem Holzbrett lag eines der großen braunen Brote, eine Spezialität der Kommune. Bruno nahm sein Laguiole-Messer zur Hand, schnitt eine Scheibe ab und bestrich sie mit einem halben
crottin.
An die Bank gelehnt, ließ er sich den Happen schmecken. Dabei fiel sein Blick auf einen braunen Pappkarton mit kleinem Zapfhahn. Er drehte den Karton zum Fenster, um lesen zu können, was darauf stand. South Africa Pinotage. Gleich daneben stand ein leeres Glas. Bruno schenkte sich ein. Die Blume war nicht

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