Grand Cru
stehe ich, wie du weißt, um halb fünf auf. Um diese Zeit kam dann auch der Anruf von der
mairie.
Ich bin ans Fenster und habe den Feuerschein gesehen. Wir, Dominique und ich, sind gleich darauf in den Laster gesprungen und hochgefahren. Da haben wir dich dann getroffen. Nein, gehört habe ich nichts. Was ist mit dir, Dominique? Du hast tief geschlafen, als ich dich geweckt habe.«
Sie schüttelte den hübschen Kopf. Mit ihren klaren grauen Augen und der zarten Haut war sie der Inbegriff jugendlicher Unschuld. »Ich habe auch nichts gehört, nicht einmal das Telefon.«
»Du warst doch Praktikantin am Forschungsinstitut und hast von dem Versuchsfeld bestimmt gewusst, nicht wahr?«
»Klar, ich war ein- oder zweimal in der Woche oben, um Proben abzuholen und Prüfgeräte mitzunehmen. Die teuren Apparate durften nämlich nie über Nacht in der Baracke zurückbleiben. Ich musste auch immer, wenn ich da war, einen Vermerk ins Protokollbuch schreiben, aber das wird wohl mit verbrannt sein.«
»Wusstest du auch, was angebaut wurde?«
»Du meinst, ob ich wusste, dass man da genmanipuliertes Saatgut ausgebracht hat, oder? Anfangs hatte ich richtig Schiss davor, aber inzwischen weiß ich mehr darüber und denke anders. Das Einzige, was mir jetzt noch Sorgen macht, ist, dass verändertes Erbgut auf unseren Feldern in die Milch gelangen könnte. Eines der Projekte, an denen ich mitgearbeitet habe, hatte den Zweck, herauszufinden, ob sich GmO-Spuren in Milch nachweisen lassen. Mir war klar, dass es meinen Papa ruinieren würde, wenn seine Kundschaft auf den Gedanken käme, in seiner Milch und seinem Käse könnte dieses Frankenstein-Zeugs sein.«
»Das wäre schon möglich. Habt ihr euch darüber unterhalten?«
»Sehr oft sogar«, antwortete Stéphane. »Zum Glück steht jede Menge Wald zwischen deren Feld und unserem Land. Und von Dominique weiß ich, dass dort auch nur Pflanzen gezüchtet werden, die unsere Kühe nie fressen würden. Sie sagte mir, ich solle mir keine Sorgen machen.«
»Nun ja, ich bin kein Experte, aber Bedenken habe ich trotzdem«, sagte Bruno. »Egal, immerhin scheint man aus dem, was da oben angebaut wurde, kein Geheimnis gemacht zu haben.«
»Wir wussten alle Bescheid«, bestätigte Dominique. »Und über mich war auch Papa informiert, aber wie gesagt, ihm kann nicht daran gelegen sein, dass sich so was herumspricht. Ganz davon abgesehen ist der Boden hier oben so schlecht, dass es weit und breit kein Getreide oder Gemüse gibt, das gefährdet werden könnte.«
»Du machst dir also wegen dieses GmO-Zeugs keine Sorgen mehr, ist das so? Ich erinnere mich, in der Schule warst du eine richtige
écolo
und hast mit Max sogar diese Wahlen gewonnen.«
»Ich bin immer noch eine echte é
colo«,
erwiderte sie fast schnippisch. »So wie Max auch. Aber es gibt Sachen, die viel bedrohlicher sind - Klimaerwärmung, schmelzende Polkappen und ansteigende Meeresspiegel, die irgendwann Millionen von Menschen zwingen werden, das Weite zu suchen. Und dann wird Gentechnik gebraucht, damit all diese Flüchtlinge was zu essen haben. Wusstest du, dass PhilRice - das ist ein Reisforschungsinstitut auf den Philippinen - ein Gen entwickelt hat, das eine Reispflanze, die von Salzwasser überflutet wird, bis zu zwölf Tage lang überleben lässt? Damit könnten in Asien Millionen von Menschen gerettet werden.« Sie wandte sich ihrem Vater zu. »Du weißt ja, was ich früher von Atomkraft gehalten habe. Heute bin ich entschieden dafür, weil die Reaktoren viel weniger Treibhausgase produzieren. Die Grünen sind erwachsen geworden, Bruno. Zwangsläufig.«
Bruno lächelte. Sie sah so hübsch aus, so jung und feurig. »Vielleicht solltest du in die Politik gehen, Dominique. Meine Stimme hättest du. Ein bisschen mehr leidenschaftliches Engagement täte uns gut.«
Sie grinste, was sie noch jünger wirken ließ. »Wenn du mich für leidenschaftlich hältst, müsstest du erst einmal Max hören.«
»Ihr seid immer noch Freunde, obwohl du in Grenoble studierst und er in Bordeaux?«
»Wir sind fast täglich in Kontakt, per E-Mail, sms oder VoIP. Ist ja über Internet alles gratis. Wir besuchen auch dieselben Öko-Chat-Foren. Er kennt sich echt gut aus in biologischer Landwirtschaft, eigentlich kein Wunder, er ist ja in der Hippiekommune aufgewachsen. Alphonse, sein Vater, ist der erste richtige Grüne, den ich kennengelernt habe.«
»Hast du Max von den gentechnischen Versuchen erzählt?«, fragte Bruno, um einen lockeren
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