Grand Cru
ihr. Ich glaube, sie will dir nicht zur Last fallen.«
»Mir zur Last? Mein Gott, meine Mirabelle ist mir doch keine Last. Wir sind seit sechsunddreißig Jahren verheiratet, Bruno, und ich weiß nicht, wie ich ohne sie klarkommen soll. Ich möchte es ihr so leicht wie möglich machen und will alles versuchen, wenn denn noch Hoffnung besteht.«
»Hoffnung gibt's immer, Julien. Aber du musst auch an dich denken. Mirabelle will nicht, dass du dich hängenlässt. Du musst nicht nur für sie stark sein, sondern auch für dein Geschäft und für deine Angestellten.«
»Ich überlege, ob es nicht das Beste ist, all das hier aufzugeben.«
»Genau darüber wollte ich mit dir reden«, sagte Bruno. »Komm, setzen wir uns.« Er nahm auf einem der beiden Klappstühle Platz, die ein wenig abseits vor der Mauer standen. Sie waren grün gestrichen und sahen nicht gerade stabil aus, doch solche Stühle hatten schon Generationen von Gästen französischer Straßencafes getragen.
»Du weißt also schon Bescheid?«, fragte Julien, nicht wirklich überrascht. »Über die Gespräche, die bisher gelaufen sind, war eigentlich Stillschweigen vereinbart.«
»Tja, auch darauf scheint kein Verlass zu sein. Der, mit dem du in Verhandlungen stehst, war beim Bürgermeister und hat von Landaufkäufen in erheblichem Umfang gesprochen.«
»Dupuy? Er ist nur der Makler, ein Geschäftsmann aus Paris, soviel ich weiß.«
»Aber sein Mandant ist ein richtig dicker Fisch, nämlich das kalifornische Weinunternehmen Bondino, und das will hier bei uns groß investieren.«
»Dazu braucht man 'ne Menge Geld. Ich wollte selbst groß rauskommen, hab mich aber verkalkuliert. Das Potential ist jedenfalls vorhanden, guter Boden, günstiges Klima. Wusstest du, dass hier bei uns früher mehr Wein produziert wurde als im ganzen Umland von Bordeaux? Bordeaux war damals Abnehmer unserer Weine. Die Winzer schipperten ihre Fässer über die Vézère und Dordogne, verkauften selbst noch das Holz ihrer Kähne und kamen zu Fuß wieder zurück.«
»Tatsächlich?« Bruno kannte natürlich die alten Geschichten, war aber froh darüber, dass Julien wieder in Schwung kam und so gesprächig wurde, wie man ihn kannte.
»Ich wollte immer schon Wein machen und habe über mein Restaurant auch gut verkauft, aber als ich dann anfing, zu expandieren, wurde es eng. Der Kredit ist zwar über das Hotel gut abgesichert, weshalb sich die Bank auch keine Sorgen macht, aber die Zinsen drücken schwer, und jetzt, da Mirabelle krank ist, wird mir alles zu viel. Deshalb habe ich zugegriffen, als Dupuy fünfzigtausend für eine Kaufoption hingeblättert hat. Damit kann ich die laufenden Rechnungen bezahlen, und wenn der ganze Besitz verkauft ist, habe ich ausgesorgt. Ohne Mirabelle hat es für mich keinen Sinn, weiterzuschuften. «
»Sei kein Narr, Julien«, meldete sich eine dünne, aber feste Stimme von der Chaiselongue. »Du bist keine sechzig und hättest noch gut und gerne zehn Jahre Zeit, um etwas aufzubauen, auf das du stolz sein könntest. Meine Lebensversicherung würde als Starthilfe reichen. Wehe, du gibst dich auf, wenn ich tot bin, denn dann käme ich als Gespenst zurück und würde dich das Fürchten lehren.«
Ein kleines Funkeln war in seinen Augen, als er Bruno anschaute. Er stand auf und ging über den Rasen, kniete neben der Liege nieder und ergriff Mirabeiles Hand.
»Du bist ja wach, mein Schatz. Wär's nicht besser, du würdest ein bisschen schlafen?«
»Wie könnte ich schlafen, wenn ich höre, was für ein dummes Zeug du redest? Eins hat mir dieser verfluchte Krebs klargemacht, nämlich dass das Leben kostbar ist und nicht verschwendet werden darf. Du brauchst ein Ziel, Julien, und wahrscheinlich auch eine neue Frau, die dir Dampf macht.«
Bruno stand auf und ging lächelnd auf die beiden zu, um sich zu verabschieden. Er klopfte Julien auf die Schulter. »Was deine Mirabelle da sagt, solltest du ernst nehmen.«
Julien betrachtete seine Frau mit liebevollem Blick. Er stand auf. »Ich bring dich zur Tür.« Er beugte sich über Mirabelle und gab ihr einen Kuss. »Bin gleich wieder da.«
Als sie die Halle durchquerten, blieb Julien plötzlich stehen. »Ich kann's nicht mehr rückgängig machen, weißt du? Die Kaufoption ist unterschrieben. Und wenn sie Ende des Jahres fällig wird, bleibt mir keine Wahl, dann muss ich verkaufen.«
»Aber du könntest die fünfzigtausend doch zurückzahlen.«
»Na ja, aber ich hab schon einen Teil davon ausgegeben, an die Bank
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