Grand Cru
gesehen, wo er Ziegenkäse verkauft.«
»Du meinst Max, den Jungen aus der Kommune. Auf dem Markt hast du ihn zusammen mit Alphonse gesehen, dem älteren Mann mit dem langen grauen Pferdeschwanz, nicht wahr? Offenbar hast du's noch nicht gehört: Der Junge ist tot.«
»Wie schrecklich! Armer Kerl! Tut mir wirklich leid, auch wenn ich ihn nur vom Sehen kannte. Den Amerikaner kannte ich vorher gar nicht. Er war nur einmal zu Mittag hier und hat einen
croque-monsieur
bestellt. Er sprach ziemlich gutes Französisch. Wir haben ein paar Worte gewechselt. Er kommt aus Kalifornien, wie er mir sagte. Ein pummeliger Typ, aber schick angezogen. Allerdings längst nicht so gut aussehend wie unser Junge.«
»Hast du dich jemals mit Jacqueline unterhalten?« Bruno schöpfte immer gern aus Quellen, in denen viele Informationen zusammenliefen, auch wenn diese noch so belanglos schienen, und Mauricette war eine geborene Klatschbase.
»Aber ja, sie hat mir von ihrem Job bei Hubert erzählt und von ihrer Familie, die Wein anbaut. Es war mir neu, dass in Kanada Wein wächst. Eigentlich ein nettes Mädchen, abgesehen von ihrem Nachtleben. Sie ist vor ein paar Tagen ausgezogen. Dieser Junge - wie war noch gleich sein Name? Max? -, er hat ihr die Koffer getragen. Einer davon war voller Bücher zum Thema Wein. Sie hatte sie auf dem Schreibtisch in ihrem Zimmer aufgestapelt. Viel Zeit zum Lesen wird sie allerdings nicht gehabt haben.«
»Wie hat sie ihre Rechnung bezahlt?«
»Mit einer Kreditkarte. Visa. Die Summe war gedeckt, kein Problem.« Mauricette deutete im Gästebuch auf die letzte Spalte, in die sie Jacquelines Kartennummer eingetragen hatte. Bruno notierte sie sich.
»Weshalb interessierst du dich für das Mädchen, Bruno? Ist sie in Schwierigkeiten?«
»Nein, wir haben nur ein paar Ermittlungsbeamte in der Stadt, die den Brandanschlag untersuchen und mich gebeten haben, Auskünfte über fremde Besucher einzuholen, die nicht bloß Urlaub bei uns machen. Reine Routine. Vielen Dank, Mauricette.«
Zurück im Büro, rief Bruno seine E-Mails auf, ohne sich groß Hoffnung auf eine Nachricht von Isabelle zu machen. Doch dann stach ihm ihre Hotmail-Adresse ins Auge. Isabelle hatte ihm über ihren Privataccount geschrieben. »Tut mir leid, dass ich mich nicht schon vorher gemeldet habe. Ich musste nach Luxemburg. Derselbe Fall, aber aus anderem Blickwinkel. Ich rufe an, sobald ich kann. Vielleicht. Über meine Büroadresse bin ich nicht zu erreichen, versuch's gar nicht erst. Gruß und Kuss, Isabelle.«
Was zum Teufel sollte das nun wieder bedeuten? Zum Beispiel dieses
Vielleicht?
Wollte sie Katz und Maus mit ihm spielen? Und eine Formel wie »Gruß und Kuss« hätte sie sich auch sparen können. Der Hinweis auf die Büroadresse kam ihm irgendwie verschwörerisch vor. Und welchen Blickwinkel sollte man ausgerechnet in Luxemburg auf den Brandanschlag einnehmen können? Isabelles Nachricht gab ihm nichts als Rätsel auf, was wahrscheinlich beabsichtigt war. Anscheinend wollte sie ihn zappeln lassen, in Unruhe versetzen, indem sie so lange nichts von sich hören ließ, und ihn dann wieder mit einer seltsam verklausulierten Mitteilung ins Grübeln bringen.
Für solche Spielchen bin ich entschieden zu alt, dachte er, als das Telefon zu läuten anfing und ihn in die Wirklichkeit zurückholte. Es war das Bestattungsinstitut. Ob er sofort vorbeikommen könne?
30
Die
pompes funèbres
von Saint-Denis war ein Familienunternehmen, das in dritter Generation von François Cheyrou geführt wurde, und es war zu erwarten, dass dessen halbwüchsiger Sohn Félix die Tradition fortsetzen und eines Tages seinen Vater beerben würde. Da Bruno für die Registrierung der Todesfälle in der Kommune zuständig war, kannte er François recht gut und auch dessen Haus unter den hohen Bäumen am Rand des öffentlichen Zeltplatzes. Cheyrous Beerdigungsinstitut bestand aus mehreren kleinen Räumen nebeneinander, in denen die Verstorbenen aufgebahrt lagen und die Angehörigen sich ein letztes Mal von ihnen verabschieden konnten. Die Räume waren schlicht, aber angemessen würdevoll eingerichtet mit einer Bahre, zwei Gebetsstühlen, Vasen für die Blumen und einem kleinen Tisch, auf dem das Kondolenzbuch lag. Auf der anderen Seite des Hauses befanden sich das Büro, ein Wartezimmer sowie eine Garage für den Leichenwagen. In einem Anbau außer Hörweite war die große Sargschreinerei. In einem separaten Raum wurden die Toten gewaschen, eingekleidet und auf
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