Grand Cru
Angst, ihn und sich in Schwierigkeiten gebracht zu haben. Ich wünschte, Sie hätten mich vorher zu Rate gezogen. So wie Jean-Jacques, dem ich erklären konnte, was Sache ist. Natürlich hat auch er das Alibi überprüft und Madame Vuillard dazu befragt, aber diskret.«
Der
brigadier
grinste unverhohlen, ob über das Arrangement der Thiviers-Vuillards oder über Durocs Blamage war nicht erkennbar. »War es wirklich ein anonymer Brief?«, wollte er von Duroc wissen.
»Ja, Monsieur.«
»Lassen Sie mich raten«, sagte Bruno. »Er wurde nicht per Post zugestellt, sondern heute Morgen in aller Früh in den Briefkasten der Gendarmerie geworfen. Malvenfarbiges Briefpapier, altmodische Handschrift mit vielen dick unterstrichenen Wörtern.«
Duroc wurde rot und nickte zögernd, von dem
brigadier
interessiert beäugt.
»Ich kann Ihnen auch sagen, wer dahintersteckt«, fuhr Bruno fort. »Die alte Virginie Mercier. Sie lebt im Seniorenheim und ist seit Jahren ein bisschen durcheinander. Sie hat über fünfzig Jahre als Hilfe im Haushalt des Pfarrers gearbeitet, zuletzt für Pater Sentout, der sie dann in den Ruhestand geschickt hat. Wenn sie sich nicht in der Kirche aufhält, spioniert sie anderen nach, verdächtigt sie der >Unkeuschheit<, wie sie es nennt, und denunziert sie in ihren Briefen. Davon haben Sie doch bestimmt schon gehört,
mon capitaine.
Auch ich werde regelmäßig, ja, ich könnte fast die Uhr danach stellen, wöchentlich angeschrieben und glaube, einer dieser Briefe war tatsächlich Ihren Umtrieben gewidmet.«
»Mir sind mehrere Beschwerden zu Ohren gekommen, wonach Sie und der Bürgermeister Aussagen dieser Frau einfach unter den Teppich kehren«, erwiderte Duroc, merklich gereizt. »Unerhört so was. Ich gehe einer solchen Information, wie sie heute Morgen im Briefkasten lag, jedenfalls nach. Dazu bin ich verpflichtet.«
»Haben Sie denn nicht einen Ihrer Kollegen vorher gefragt?« Bruno schüttelte den Kopf. Wenn dieser Duroc nicht einmal sein Team konsultierte, war er noch törichter, als er befürchtet hatte. »Ihr
sergeant
hätte Ihnen Aufschluss über Gastons Liaison geben können. Die beiden gehen gemeinsam auf die Jagd.«
»Sergeant Jules hat heute frei«, entgegnete Duroc und schluckte. Lügner, dachte Bruno. Beim Hereinkommen hatte er Jules an seinem Pult gesehen.
»Nun, wir werden der Sache natürlich weiter nachgehen, aber es zeigt sich wieder einmal, wie wichtig es ist, sich am Ort und unter der Bevölkerung auszukennen«, resümierte der
brigadier,
der Bruno zuzwinkerte, aber ernst blieb. »Wenn Madame Vuillard bestätigt, dass Gaston in der fraglichen Nacht bei ihr war, haben wir keinen Grund, daran zu zweifeln oder gar seiner bedauernswerten Frau zusätzlich Ärger zu machen.«
Auf dem Weg nach draußen wechselte Bruno noch ein paar Worte mit Jules an dessen Schreibtisch und informierte ihn, dass Gaston aus dem Schneider sei. »Und noch etwas. Cresseils alter Hund ist verschwunden. Du erinnerst dich, dieser Porcelaine. Könntest du die Kollegen weiter unten am Fluss verständigen? Vielleicht ist er irgendwo angeschwemmt worden.«
Die
Bar des Amateurs
ging bemerkenswert gut, trotz ihrer eher ungünstigen Lage am Ende der Rue de Paris gegenüber der Gendarmerie. Sie war bis spät in die Nacht geöffnet, hatte einen großen tv-Bildschirm für Sportprogramme und lockte nicht zuletzt mit ihren
crêpes,
Pizzen und
croques-monsieur,
lecker zubereitet von den Frauen der Besitzer René und Gilbert, zwei beeindruckenden Hünen, die dafür sorgten, dass ihre Gäste die Nachtruhe der Stadt nicht störten. Bruno musste sie nicht lange bitten, seine Fragen nach dem betrunkenen jungen Amerikaner und der hübschen Kanadierin zu beantworten.
»Er war fast den ganzen Abend über da, ist aber zwischendurch immer wieder raus an die frische Luft«, erinnerte sich Gilbert, ein stämmiger Bursche mit Hakennase und gewaltiger Sprungkraft, die ihn zum Fänger bei Einwürfen in die Gasse prädestinierte. »Er sagte, er warte auf jemanden, und bestellte jedes Mal, wenn er wieder hereinkam, einen weiteren Drink.«
»Wodka Tonic«, präzisierte sein Partner René, ein bulliger Hüne und ausgezeichneter Stürmer.
»Gegen elf kam er mit diesem Mädchen zurück. Sie saßen an einem Tisch und sprachen miteinander, ganz normal. Irgendwann stand sie auf und wollte gehen, doch er hielt sie am Arm zurück«, fuhr Gilbert fort. »Ich bin zu den beiden hin, fragte ganz höflich, ob alles in Ordnung sei. Sie sagte ja.
Weitere Kostenlose Bücher