Grandios gescheitert
frohe Botschaft kein Gehör findet, bewahren sie sich ihre Reinheit; wenn ihre Botschaft sich aber verbreitet, fällt die Sprache in die Hände der versammelten Proselyten und wird, da das Bessere der Feind des Guten ist, ›babelisiert‹.«
Zahlreiche weitere Plansprachen traten hinzu. Zwei Franzosen, der Linguist Louis Couturat und der Mathematiker Léopold Leau, machten 1903 nicht weniger als 38 »internationale« Sprachen aus, die darum konkurrierten, zur anerkannten Welteinheitssprache aufzusteigen. Insgesamt wurden durch die Jahrhunderte über 1.000 Plansprachen erfunden, für die Latein schon deshalb besonders häufig als Grundlage herangezogen wurde, weil sich Europa besonders sprachenkreativ betätigte. Die meisten solcher Projekte gelangten allerdings über ein embryonales Stadium nicht hinaus. Andere waren zwar stimmig und ausgearbeitet, aber nicht sprechbar und erfüllten lediglich den Anspruch, eine »logische« oder »perfekte« Sprache herzustellen. Das machte sie zu einer eher elitären Angelegenheit und uninteressant für eine Breitenwirkung, bei der alle gesellschaftlichen Schichten Sprecher beisteuern. Nur eine einzige Sprache schaffte den Sprung zu einer wirklich funktionierenden und praktizierten Sprache, von einer Plansprache zu einer lebendigen.
Ein Doktor der Hoffnung
Denn am Ende des 19. Jahrhunderts kam ein Produkt auf den Weltmarkt der Plansprachen, das die Konkurrenz weit hinter sich lassen sollte. Entwickler war der polnisch-jüdische Augenarzt und Philologe Ludwig Lazarus Zamenhof aus Warschau. Zamenhof, 1859 geboren, war der Sohn eines atheistischen Anhängers der Assimilierung und der jüdischen Aufklärungsbewegung Haskala sowie einer gläubigen, Jiddisch sprechenden Mutter. Seine Familie stammte ursprünglich aus Süddeutschland und war seit Anfang des 19. Jahrhunderts in Osteuropa ansässig. Schon im Elternhaus der Großfamilie (Ludwig hatte zehn Geschwister) wurden mehrere Sprachen gesprochen – Ludwig lernte Polnisch und Russisch, Deutsch und Jiddisch, Hebräisch und Französisch. Später kamen Griechisch, Latein und Englisch hinzu, wohl auch Litauisch und Spanisch. Ebenso multilingual war der kulturelle Hintergrund: Zamenhof wurde in Bialystok geboren, das zwar zu Polen gehörte, aber seit der dritten polnischen Teilung unter russischer Herrschaft stand. Der prägende Bevölkerungsteil waren die Juden, die mehr als zwei Drittel der Bürger von Bialystok stellten: Polen und Ukrainer, Russen, Weißrussen und Deutsche waren in der Minderheit. Trotzdem waren die Juden Anfeindungen und Pogromen ausgesetzt, wie sie im späten Zarenreich an der Tagesordnung waren. Zamenhof studierte Medizin in Moskau und Warschau und verdiente als Augenarzt einige Zeit recht schlecht, weil er überwiegend arme Patienten behandelte. Die aufwendige Arbeit an einer funktionsfähigen Neusprache finanzierten Zamenhof vermutlich die betuchten Eltern seiner Frau Klara, einer Fabrikantentochter.
1887 veröffentlichte Zamenhof das Buch Internationale Sprache. Vorrede und vollständiges Lehrbuch unter dem Pseudonym, das sich bald als Name der neuen Sprache durchsetzen sollte: »Doktoro Esperanto«, der hoffende Doktor. Zamenhof setzte damals seine Hoffnung in die Rückkehr der Juden nach Palästina und verstand Esperanto auch, aber keineswegs allein als einigende Sprache für die in alle Welt zerstreuten Juden. Zugleich ging es ihm um eine internationale, völkerverbindende Sprache, die sich positiv auf das Zusammenleben der Völker auswirken würde. Als weltlicher Jude verstand er sich als Sohn seines Volkes, hatte aber kein Interesse an Hebräisch als Sprache für Palästina, weil damit in seinen Augen nur ein neuer Nationalismus begünstigt worden wäre. Eine frühe Liaison mit dem Zionismus Anfang der 1880er-Jahre, also noch vor der eigentlichen Gründung der Zionistischen Weltorganisation 1897, endete aufgrund Zamenhofs alsbaldiger Enttäuschung und seiner inzwischen gewonnenen Überzeugung, aus einem jüdischen Staat könne nichts werden. Seine Hauptargumente gegen den Zionismus wurden von vielen Zeitgenossen geteilt: Eine gemeinsame Religion sei noch kein gemeinsames Nationalgefühl, Palästina sei zu klein für die in aller Welt lebenden Juden und Hebräisch eine tote Sprache. Das war zu Anfang des 20. Jahrhunderts.
Zamenhof vertrat stattdessen, was er »homaranismo« (Esperanto für: Menschheitslehre) nannte: die Verbrüderung der Welt. Im ersten Artikel seines 1906 veröffentlichten Manifestes
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