Grandios gescheitert
heißt es: »Ich bin ein Mensch, und die ganze Menschheit betrachte ich als eine Familie; die Teilung der Menschheit in verschiedene, einander feindliche Völker und ethnisch-religiöse Gemeinschaften betrachte ich als eines der größten Übel, das früher oder später verschwinden muss und dessen Verschwinden ich nach Kräften fördern muss.« Zamenhof wurde ein früher Kritiker des Nationalismus, auch des jüdischen, weil jede Form des Nationalismus und der politische Missbrauch von Volks- oder Religionszugehörigkeit Unglück über die Menschen bringe. Als eigentliches Problem im Zusammenleben der Völker sah er die unterschiedenen Religionen und Sprachen. Wenn aber alle Religionen gleich behandelt würden und sich die Menschen eine gemeinsame Sprache teilten, so seine Überzeugung, wäre jeder Form von Völkerhass die Grundlage entzogen.
Zamenhofs jüdische Identität und seine Sprachschöpfung sind nicht voneinander zu trennen. 1905 schrieb er einem französischen Anhänger der neuen Sprache, die Spaltung der Welt sei für einen »Juden aus dem Ghetto« besonders drastisch erlebbar. Er bete zu einem Gott in einer toten Sprache (allerdings war Hebräisch damals bereits auf dem Weg zu seiner zweiten Karriere als höchst lebendige Sprache), lerne die Sprache eines Volkes, das ihn ablehne, und könne sich mit seinen Leidensgenossen in aller Welt nicht unterhalten. Einer französischen Zeitung dagegen erzählte er einmal, die ewigen Streitereien unter seinen Schulkameraden hätten ihn sehr beeinflusst, denn ein Großteil des Streits habe als Ursache das mangelnde gegenseitige Sprachverständnis gehabt. Zamenhof legte im Interesse der universalen Verbreitung von Esperanto bald Wert darauf, der neuen Sprache statt einer rein jüdischen ein wahrhaft internationales Image zu geben.
Eine Grammatik ohne Ausnahmen
Ludwig Zamenhof gestand seinem Esperanto ein Alphabet mit 28 lateinischen Buchstaben zu – einen für jeden Laut und einige sogenannte »Dachbuchstaben«: a, b, c (ausgesprochen wie z), ĉ (ausgesprochen wie tsch), d, e, f, g, ĝ (ausgesprochen wie dsch), ĥ (ausgesprochen wie ch), i, j, ĵ (ausgesprochen wie sh), k, l, m, n, o, p, r, s (stimmhaftes s), ŝ (sch), t, u, û (kurzes u), v (ausgesprochen wie w) und z (stimmloses s). Die Aussprache geht dadurch stets aus der Schrift hervor, Umlaute kommen nicht vor, nebeneinanderstehende Vokale werden getrennt gesprochen. Gleichwohl erwies sich die Aussprache als Problem und war vor allem in der Anfangszeit uneinheitlich und Gegenstand einiger Debatten. Naturgemäß unterscheidet sich die Aussprache, beispielsweise der Vokale, je nach Herkunft der Sprecher. Hier kommt ein Problem zum Tragen, das »gewachsene« Sprachen nicht haben: Sie wurden allesamt gesprochen, bevor man sie aufgeschrieben hat. Esperanto ist die einzige Sprache, die in Schriftform gegossen wurde, bevor das Sprechen und damit der Praxistest begonnen hatte. In den folgenden Jahrzehnten der praktischen Erprobung wurden denn auch Modifikationen vorgenommen. Klar festgelegt war aber von Anfang an, dass in jedem Wort die vorletzte Silbe betont wird – das wird im Allgemeinen Zamenhofs polnischer Herkunft zugeschrieben.
Ganz insgesamt steht die Sprache für Klarheit und leichte Erlernbarkeit, denn Zamenhof wollte ausdrücklich, dass sie mit geringem Aufwand und von Angehörigen aller Bildungsniveaus erlernt werden könne. So gibt es nur einen bestimmten Artikel ( la ) und keinen unbestimmten, der Artikel wird in Ein- und Mehrzahl gleichermaßen verwendet. Ein Substantiv in Esperanto endet stets auf -o , ohne damit ein bestimmtes Geschlecht zu meinen. Allerdings wird für die weibliche Form vor die Endung -o die Silbe -in- eingefügt. So heißt der Hund hundo , die Hündin hundino . Für die Mehrzahl wird am Ende noch ein -j angehängt: hundoj für die Hunde, hundinoj für die Hündinnen. Zamenhof beschränkte seinen Sprachentwurf auf nur zwei Fälle: Nominativ (-o ) und Akkusativ ( -n ). Weitere Präzisierungen werden durch Präpositionen und Vorsilben gekennzeichnet – wie Zamenhof insgesamt Wert darauf legte, Vorsilben und Endungen ausgewogen zu verwenden, um keine schwer erfassbaren Wortungetüme zu erhalten. Sinnfällig zusammengesetzte und daher ebenso einsichtige wie einprägsame Wörter gibt es dagegen in reicher Zahl, das Kompositionssystem ist ebenso einfach wie einleuchtend. Aus jedem Substantiv lässt sich ohne Ausnahme das zugehörige Adjektiv herstellen, indem die Endung -o durch -a
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