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Grandios gescheitert

Grandios gescheitert

Titel: Grandios gescheitert Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernd Ingmar Gutberlet
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zwar sein betagter Erfinderfreund Edison nach Möglichkeiten der Kautschukgewinnung aus Pflanzen, die in den Vereinigten Staaten angebaut werden konnten. Aber als das nicht gelang, verlegte sich auch Ford auf den Plantagenanbau im Mutterland des Kautschuks. Er kaufte 1927 riesige Ländereien im brasilianischen Amazonas-Regenwald.

»Mad Henry« Ford
    Damit fügte Ford der wechselvollen Geschichte des Kautschuks ein weiteres Kapitel an und gesellte sich zur langen Reihe von Abenteurern und Eigenbrötlern, Naturwissenschaftlern, Erfindern und Unternehmern, stolzen und tragischen Helden, die sich mit dem Kautschuk einließen. Dass er aber zu denjenigen gehören würde, deren Unternehmen fehlschlug, kam für den selbstgewissen Selfmademan zweifellos nicht in Frage. Er verstand sich stets als stolzen, nicht als tragischen Helden. Viele Zeitgenossen dagegen sahen im Autoindustriellen Ford längst auch eine Art »mad Henry«. Er war wie Henry Ridley ein überaus eigensinniger Mann, der sich ungern reinreden ließ und als engste Mitarbeiter Männer auswählte, die ihm nicht widersprachen. Im Unterschied zum Botaniker Ridley wirkte Ford allerdings nicht im Verborgenen, sondern zog mit allem, was er tat, die Blicke einer interessierten bis neugierigen Öffentlichkeit auf sich – was er zumeist auch genoss.
    Das brasilianische Vorhaben wies eine Größenordnung ganz nach Fords Geschmack auf. Er wollte ja nichts weniger, als dem wilden Amazonas einen großen Happen Urwald entreißen, diesen bändigen und dem industriellen Fortschritt dienstbar machen. Wohlwollende Beobachter überschlugen sich in der Würdigung dieses mutigen Projekts, beschworen die Schrecken des unbezähmbaren Regenwaldes und machten klar, dass nur ein Einziger auf der Welt diese Wildnis domestizieren und zum Nutzen der industrialisierten Welt ausbeuten konnte: eben Henry Ford. Ein maßgeblicher Teil der US-Presse zeigte sich enthusiastisch, als die ersten Ford-Schiffe zum Amazonas fuhren, an Bord die Ausrüstung, um dem Dschungel Zivilisation beizubringen. Die Washington Post titelte am 27. Juli 1928: »Brasilianisches Gebiet größer als New Jersey soll Gummi für jährlich 2 Millionen Reifen liefern«.
    Die Begeisterung der Medien und mancher speichelleckerische Tonfall muten befremdlich an, zumal angesichts des schonungslosen Eingriffs in ein einzigartiges Ökosystem wie den Amazonas. Aber zu Fords Lebzeiten waren weder die kindlich-uneingeschränkte, skepsislose Begeisterung für Führerpersönlichkeiten noch der Triumph des Menschen über die Natur so grundlegend in Zweifel gezogen worden, wie das seither der Fall ist. Auf viele US-Amerikaner musste ein solches Unternehmen inmitten der Wildnis auch deswegen faszinierend wirken, weil es der Vorstellung der american frontier entsprach, der Zivilisationsgrenze, die die Siedler auf ihrem Zug nach Westen bis an den Pazifik vorgeschoben hatten. Ähnlich wurde Jahrzehnte später der Drang in den Weltraum mit der Ausdehnung des Staatsgebietes nach Westen verglichen. Heute dagegen versteht man den Amazonas, wie die wenigen weltweit verbliebenen Teile intakter Natur insgesamt, nicht mehr als bedrohlichen Gegensatz zur Zivilisation, der domestiziert werden muss, sondern vielmehr als gefährdet und schützenswert.
    Es wäre in der Tat durchaus falsch, Fords brasilianisches Abenteuer auf die rein kommerzielle Seite des Kautschukanbaus zu reduzieren. In den Zwanzigerjahren besaß er längst eine internationale Reputation nicht nur als Industrieller, sondern auch als idealistischer Utopist. Studierte Intellektuelle und umfassend gebildete Entscheidungsträger belächelten die hemdsärmelige Philosophie des Farmerssohnes und Selfmademillionärs, zu der Pazifismus und Vegetarismus gehörten, eine Politik hoher Löhne zugunsten des Arbeiters als Konsument und die Kritik an gesellschaftenlichen Verwertungen durch wuchernde Städte und verfallende Sitten, allerdings auch die moralinsaure Gängelung seiner Arbeiter und sogar ein abwegiger, gleichwohl zeitgemäßer Antisemitismus. Mit Leidenschaft stritt er für Soja als kommendes Nahrungsmittel und stellte die Zukunft der Kuh als Nutztier in Frage. Sein ausgeprägter missionarischer Eifer machte auch vor seinen Arbeitern nicht halt, für die er noch außerhalb der Fabrik eine Verantwortung reklamierte. Durch die Bewirtschaftung eines eigenen Gartens sollten die Fließbandarbeiter einer die Fabrikmonotonie ausgleichenden Beschäftigung nachgehen. Im Ersten Weltkrieg war der

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