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Grandios gescheitert

Grandios gescheitert

Titel: Grandios gescheitert Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernd Ingmar Gutberlet
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Funktionselementen der eigentlich verpönten Marktwirtschaft sowie modernsten Methoden von Wissenschaft und Technologie. Zwar hatte man schon Ende der Fünfzigerjahre die Modernisierung der Wirtschaft angestoßen und als ein Rezept dafür die Automatisierung erkannt. Namentlich die Wirtschaftsreform durch das NÖS sollte die DDR jetzt aber so radikal modernisieren, dass die Zukunftsversprechen des Sozialismus auch eine materielle Grundlage erhalten würden. Technologischer Fortschritt wurde der Öffentlichkeit als Wert vermittelt – als der Nährboden, auf dem der Sozialismus mit vereinten Kräften aufgebaut werden konnte, als fruchtbarer Acker, der Wohlstand für alle abwerfen würde.
    Auf ihrem Modernisierungskurs scheiterte die DDR jedoch. Verschiedene Projekte der Hochtechnologie wurden mit großem Aufwand verfolgt, waren aber nur vereinzelt von Erfolg gekrönt, so in der Chemieindustrie – jedenfalls solange billiges russisches Erdöl verfügbar war. Das Scheitern hatte verschiedene Ursachen und war zum Teil äußeren, zum Teil inneren Umständen geschuldet. Jedenfalls gelang der Durchbruch aus eigener Kraft weder in der zivilen Luftfahrtindustrie noch in der Kernenergie, weder in der Halbleitertechnik noch in der Mikroelektronik, und der Status als Hochtechnologieland blieb für den ostdeutschen Staat ein ferner Traum.
    Die Anstrengungen um eine Wirtschaftsreform in den Sechzigerjahren gelten den einen als der von vornherein zum Scheitern verurteilte Versuch, das hoffnungslose Mangelsystem der Planwirtschaft mit kapitalistischen Methoden zu optimieren. Andere sehen darin den bedauerlichen Fall, bei dem Halbherzigkeit in der Umsetzung und ein voreiliges Ende aus ideologischem Starrsinn den Nachweis verhinderten, dass der Marktwirtschaft nach westlichem Vorbild durchaus erfolgreich Paroli geboten werden kann. Wie auch immer – beim Versuch, die sozialistische Planwirtschaft auf Erfolgskurs zu bringen, zählten die Reformer auf die Hilfe der noch jungen Wissenschaft der Kybernetik. Besagter Wirtschaftswunder-Report berichtet denn auch unter anderem vom Beschluss des auf dem Parteitag verabschiedeten Programms, die kybernetische Forschung zu beschleunigen, um mit deren Erkenntnissen ein »dynamisches Volkswirtschaftssystem« herauszubilden. Die Kybernetik sollte als eine Art Wirtschaftswunderwaffe zum Einsatz kommen.

Kriegskind Kybernetik
    Der Begriff Kybernetik wurde 1948 mit einem Buchtitel in die Welt geworfen. Autor des Werkes war der US-amerikanische Mathematiker Norbert Wiener, und sein Buch befasste sich zunächst einmal mit den Parallelen zwischen Mensch und Maschine bei ihren Steuerungs- und Kommunikationsfunktionen. Das griechischstämmige Wort Kybernetik bedeutet eigentlich »Steuermannskunst« und ist mit dem englischen Wort govern für »regieren« verwandt.
    Zwar war weder der Mensch-Maschine-Vergleich neu noch die Idee der Regelungstechnik, aber hier begann die Karriere einer neuen Disziplin, die mal verherrlicht, mal verteufelt und immer wieder neu verstanden wurde. Der vereinfachten Definition des Kybernetik-Historiographen Philipp Aumann folgend, will die Kybernetik »Nachrichten- und Regelungsprozesse in Organismen analysieren, als wären sie Computer, und Computer nach dem Vorbild von Organismen konstruieren«. Etwas ausführlicher erklärt derselbe Autor an anderer Stelle: »Kybernetik ist eine Wissenschaft, die informationsverarbeitende, sich selbst regulierende Systeme analysiert und die Ergebnisse dieser Analyse für eine technische Synthese bereitstellt. Sie ist gleichfalls eine Technologie, die solche Systeme künstlich nachzubilden versucht und diese Nachbildungen einerseits als technische Entwicklungen dem Einsatz in der Praxis, andererseits der analysierenden Wissenschaft als Hilfsmittel zur Verfügung stellt. Sie erhebt den Anspruch, all diese Systeme mit denselben Begriffen beschreiben und mit denselben Fragestellungen, Theorien und Methoden analysieren und synthetisieren zu können.«
    Das klingt nicht nur kompliziert, sondern riecht auch nach einer Universalwissenschaft, und als solche wurde die Kybernetik auch vielerorts gepriesen. Mit diesem Anspruch trat sie durchaus an, denn sie wollte Theorie und Praxis zugleich sein, Grundlagenforschung und angewandte Wissenschaft in einem – und noch dazu viele Wissenschaftszweige erfassen. Bei einer solchen interdisziplinären Wissenschaft hatten also viele Fachleute unterschiedlicher Couleur mitzureden, von Biologen bis Informatikern,

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