Granger Ann - Varady - 01
Schuss, gefolgt von einem
weiteren. Etwas zischte nahe an meinem Gesicht vorbei,
verfehlte nur knapp Dollys Ohren; ein Krachen, und Holz
splitterte: An einem Baumstamm neben mir war plötzlich
ein heller Fleck. Im nächsten Augenblick galoppierte Dolly
los, als sei der Teufel hinter ihr her.
»Festhalten!«, brüllte Jamie.
Ich konnte gar nichts anderes tun, als mich verzweifelt
festzukrallen, während Dolly mit mir über die Schneise donnerte. Ich riss an den Zügeln, ohne Erfolg. Ich betete, dass
Dolly sicher auf den Beinen war, denn der Boden war uneben
und von Traktorspuren durchfurcht. Ich merkte, dass Jamie
hinter mir her galoppierte, doch plötzlich schwenkte Dolly
ohne Vorwarnung herum und wechselte die Richtung.
Das wäre fast das Ende unseres gemeinsamen Ausflugs
gewesen und ich von Dollys Rücken auf den Boden geknallt.
Doch ich rutschte nur zur Seite, schaffte es im letzten Augenblick, mich wieder aufzurichten. Ich hatte Kosaken im
Zirkus gesehen, die Kunststücke wie dieses vollbracht hatten, und nicht die geringste Lust verspürt, es ihnen gleichzutun. Dolly galoppierte nun einen schmalen Pfad zwischen
Bäumen hindurch, wahrscheinlich ein Wildwechsel. Der
Weg war gerade breit genug für Dolly. Ich packte den Sattelknauf und Dollys Mähne und kauerte mich ganz tief über
den Pferderücken, um nicht von herabhängenden Ästen getroffen zu werden. Ich spürte mehr, als ich hörte, dass ich
Jamie verloren hatte. Jedenfalls war er nicht mehr hinter
mir. Der Wildwechsel musste irgendwo enden, und vielleicht ritt er außen herum in dem Versuch, mich am anderen Ende abzufangen.
Dolly preschte weiter. Der Boden war weich und uneben
und zum Teil morastig, und Dollys Hufe sanken ein und befreiten sich schmatzend aus dem Morast. Wir kamen zu einem Bachlauf, und sie sprang mit einem mächtigen Satz
darüber hinweg. Inzwischen hatte ich längst beide Steigbügel verloren, und nur durch ein Wunder blieb ich auf ihrem
Rücken. Wir jagten über eine Lichtung. Dolly schwenkte in
einen neuen Weg ein – im rechten Winkel zum ersten. Sie
schien zu wissen, wo sie hinwollte, doch es war unwahrscheinlich, dass Jamie es auch wusste, und wo immer er im
Augenblick steckte, er würde mich wohl nicht mehr finden,
nachdem Dolly einen anderen Weg eingeschlagen hatte.
Ohne Vorwarnung jagten wir unter den Bäumen hinaus auf
eine weitere Feuerschneise. Ich traute meinen Augen nicht –
ein alter Pick-up kam über die Schneise direkt auf uns zu.
Dolly sah den Wagen, wieherte und wirbelte herum. Ich segelte geradeaus weiter wie der Pfeil, der in diesem berühmten Gedicht vom Bogen schnellt, und landete in einen
Schlammtümpel.
Dort lag ich, sah Sterne und hörte die Engelein singen.
Undeutlich nahm ich wahr, wie kalter Schlamm durch meine Finger quoll und Feuchtigkeit durch meine Kleidung
drang. Wie durch einen Nebel hindurch hörte ich eine bekannte Stimme rufen: »Fran! Haben Sie sich verletzt?«
Ich öffnete die Augen. Nick Bryant beugte sich über mich.
Der Aufprall hatte mir die Luft aus den Lungen gepresst,
doch es gelang mir, ihm, wenn auch völlig unnötig, mitzuteilen, dass ich vom Pferd gefallen war.
»Bleiben Sie ganz ruhig liegen – Sie könnten sich etwas
gebrochen haben.« Besorgt untersuchte er mich. »Versuchen Sie, Ihre Arme zu bewegen – einen nach dem anderen.
Dann die Beine.«
Ich gehorchte. Alles schien noch zu funktionieren. Er
reichte mir die Hand und half mir, mich aufzusetzen. Ich
stemmte die Arme auf die Knie und konzentrierte mich
darauf, wieder zu Atem zu kommen. Ich war von oben bis
unten verdreckt. Dolly war verschwunden.
»Ich werde Sie nach Hause bringen«, sagte Nick. »Das
Pferd findet den Weg sicher allein.«
Ich sagte ihm, dass Jamie irgendwo in der Nähe sein müsse und nach mir suche. Nick verlieh seiner Meinung Ausdruck, dass auch Jamie allein nach Hause fände. Ich entgegnete, dass ich versuchen müsste, ihn zu finden. Er würde
wohl kaum ohne mich zum Gestüt zurückreiten. Wir argumentierten hin und her, als Hufschlag laut wurde und Jamie
aus dem Wald galoppierte.
Er sprang aus dem Sattel und kam zu uns gerannt.
»Was zur Hölle – was machen Sie hier, Bryant?«
»Ich bin eine Abkürzung gefahren – gut, dass ich in der
Nähe war! Warum haben Sie nicht besser auf sie Acht gegeben?«
Ich saß noch immer in meiner Schlammpfütze und bemühte mich, Atem zu schöpfen. Sie standen rechts und
links von mir und gifteten sich an wie zwei Hunde, die um
einen Knochen
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