Granger Ann - Varady - 01
beschützen. Ich bin zu alt. Ich
bin einfach zu alt.«
Er rieb sich nervös die Hände. Die Haut war dünn auf den
Handrücken, wie Pergament, und die Adern traten hervor
wie dicke Schnüre. Ich wusste nicht, wie alt er war, und hätte
es zu gerne erfahren. Doch ich bemerkte den leichten Gelbton seiner Fingerspitzen. Er war ein lebenslanger Raucher.
Edna fiel mir ein und ihre goldene Zigarettenschachtel,
zusammen mit dem Streichholzbriefchen. Doch dieser alte
Mann hätte nicht die Kraft gehabt, um zu tun, was man
Terry angetan hatte. Und er hätte es auch ganz sicher nicht
gewollt. Er hatte seine Enkelin geliebt.
Alastair riss sich sichtlich zusammen und setzte nach einem kurzen Augenblick mit neuer Energie zu sprechen an.
»Mein Sohn kommt für die Beerdigung nach England. Die
Polizei sagt, wir könnten Theresa bald begraben. Sie sind
bald fertig mit … mit allem, was sie tun müssen.« Er schob
seinen Teller von sich. Auch mir war der Appetit ziemlich
gründlich vergangen.
Als er weitersprach, hatte er sich gefangen. Ich schätzte,
dass er sich vorher gründlich überlegt hatte, was er sagen
wollte und sich selbst diese Worte häufig vorgesprochen
hatte. Er sah mich nicht an, als er sprach, sondern hielt den
Blick unablässig auf seine Hände gerichtet, die das Tischtuch umklammerten.
»Es besteht eine hohe Wahrscheinlichkeit, dass Terry von
der Hand eines Mörders gestorben ist. Dass es kein Selbstmord und kein Unfall war. Die Polizei hat ihren Tod jedenfalls als verdächtig klassifiziert.« Es musste ihn große Überwindung kosten, doch er fuhr fort: »Die Polizei glaubt, dass sie
von jemandem bewusstlos geschlagen wurde, der schräg hinter ihr gestanden hat. Es war mit großer Wahrscheinlichkeit
jemand, den sie gekannt und selbst ins Haus gelassen hat.«
Er warf mir einen entschuldigenden Blick zu, um mir zu
zeigen, dass er mir keine Vorwürfe machte. »Wer auch immer es getan hat, er arrangierte hinterher alles so, dass es
aussah, als hätte sie sich erhängt. Selbst wenn sie wieder zu
sich gekommen wäre, noch bevor er es zu Ende gebracht
hätte, hätte sie keine Chance mehr gehabt, sich zu verteidigen und ihn aufzuhalten …« Seine Stimme brach erneut,
doch er fuhr unbeirrt fort, nachdem er einen Augenblick
lang um seine Fassung gekämpft hatte. Er war trotz aller äußeren Zerbrechlichkeit ein harter alter Bursche. »Sie haben
ihren Leichnam gesehen.«
Es war eine Feststellung und keine Frage. Ich nickte bestätigend.
»Der … äh, Haken an der Decke, von dem sie … von
dem ihr Leichnam hing, war nicht besonders stabil. Meine
Enkelin wog nicht viel. Trotzdem, wäre sie die ganze Zeit
über bei Bewusstsein gewesen und hätte gestrampelt, wäre
sie mitsamt Leine, Haken und Deckenputz zu Boden gestürzt. Was die Polizei zu der Annahme führt, dass sie bewusstlos gewesen sein muss. Und diese Tatsache lässt
Selbstmord als Todesursache ausscheiden.«
Es stimmte, dass Terry dürr, ja magersüchtig gewesen
war. Praktisch jeder hätte sie hochheben können, sogar ich
im Notfall. Von einem männlichen Täter zu sprechen war
daher vielleicht ein wenig voreilig. Auch eine Frau hätte es
tun können. Aber Leichen sollen schwerer zu tragen sein,
habe ich zumindest einmal gehört. Falls Terry bewusstlos
gewesen war, wäre sie dadurch leichter zu heben gewesen?
Ich wusste es nicht.
Er hatte den Blick gehoben und musterte mich prüfend.
Ich war in meine eigenen Gedanken versunken, und wie es
scheint, machte ich einen verblüfften Eindruck. Jedenfalls
lächelte er schwach.
»Ich möchte es wissen, Francesca. Ich möchte Gewissheit
haben. Ich will wissen, was geschehen ist. Ich will wissen, ob
es nicht doch Selbstmord war. Die Polizei hat diese Möglichkeit nicht gänzlich ausgeschlossen. Oder ob es Mord war
– und falls es Mord war, wer sie getötet hat und aus welchem Grund. Ich möchte, dass Sie mir helfen.« Er zögerte.
»Es ist ein unerfreuliches Thema, ich weiß. Vielleicht hätte
ich nicht mit Ihnen darüber reden sollen. Aber ich bin aus
einem bestimmten Grund zu Ihnen gekommen.«
»Schon gut«, sagte ich in dem Bemühen, meine Unruhe
zu verbergen.
»Ich möchte Ihnen einen Vorschlag unterbreiten, Francesca.«
Die Leute am Nachbartisch waren ganz offensichtlich der
Meinung, dass er das wollte. Sie murmelten Dinge wie »…
in seinem Alter …« und dergleichen mehr. Ich hoffte, dass
Alastair nichts von alledem hörte.
»Die Polizei arbeitet wirklich hart an diesem Fall. Ich
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