Granger Ann - Varady - 01
sagte, geholfen hat. Er musste es für sich selbst herausfinden. »Theresas Eltern ließen sich scheiden, als sie gerade dreizehn war. Keiner von beiden war in der Position,
sie bei sich aufzunehmen, und so kam sie zu mir. Zurückblickend muss ich sagen, dass sie sich unerwünscht und wenig willkommen gefühlt haben muss, obwohl ich Ihnen versichere, dass dem keinesfalls so war! Ich habe es versucht,
wir alle haben es versucht …«
Seine Stimme brach. Ich fragte mich, wen er mit »wir«
meinte – Terrys Eltern jedenfalls nicht. »Wir alle«, also mehr
als zwei. »Was haben ihre Eltern denn gemacht?«, fragte ich.
»Nach der Scheidung? Ich meine, wenn keiner von beiden
sie bei sich aufnehmen konnte?«
Er zuckte zusammen, als wäre er mit den Gedanken
schon wieder irgendwo anders gewesen. Die Unterhaltung
mit ihm war in mehr als einer Hinsicht ein wenig schwierig.
Er gehörte nicht zu jenen älteren Menschen, die geistig verwirrt waren. Sein Verstand war klar, doch es fiel ihm
schwer, sich länger als fünf Minuten auf eine Person zu
konzentrieren, in diesem Fall auf mich.
»Bitte entschuldigen Sie!«, sagte er, als sei ihm in diesem
Augenblick bewusst geworden, was ich wahrscheinlich dachte.
»Vermutlich ist es einer der Nachteile des Alters, dass man
sich immer wieder in seinen Gedanken verirrt. Mein Sohn,
Theresas Vater …« Alastairs Stimme klang mit einem Mal
angespannt, und mir war klar, dass das Verhältnis zwischen
Vater und Sohn kühl sein musste. »Er arbeitet in Amerika
und hat dort wieder geheiratet. Theresas Mutter ist in ihren
alten Beruf zurückgekehrt und seither viel auf Reisen. Sie ist
in der Modebranche.«
Ich musste an die teure Strickjacke denken, die Terry Tag
und Nacht getragen hatte. Ein Geschenk der Mutter, um das
Gewissen zu erleichtern?
Unvermittelt fügte Alastair hinzu: »Marcia – so heißt
meine ehemalige Schwiegertochter – war bei mir zu Besuch.
Sie ist von Natur aus reizbar, und wir wechselten ein paar
böse Worte. Sie wurde beleidigend. Sie scheint mir die
Schuld dafür zu geben, dass Theresa immer wieder von zu
Hause weglief. Ich habe mich zu der nachsichtigen Ansicht
durchgerungen, dass Marcia ihre Worte unbedacht geäußert
und im Kummer gesprochen hat. Unter den gegebenen
Umständen nehme ich es ihr nicht übel.« Er schnaubte. »Aber
wenn Sie meine Meinung wissen wollen, dann fühlt sich Marcia schuldig, und das sollte sie auch! Ich hoffe, sie leidet wie ein
Hund!« Er stockte, dann sagte er leise: »Bitte entschuldigen
Sie.«
Meiner Meinung nach konnte diese Marcia von Glück
sagen, dass der alte Bursche so gut erzogen war. Wie es aussah, hatten Terry und ich mehr gemeinsam, als ich geglaubt
hatte. Wenigstens war ich »nur« von meiner Mutter verlassen worden – und mein Vater gleich mit. Terrys Eltern hatte
sie gleich beide im Stich gelassen.
»Als Philip und Marcia sich trennten«, fuhr Alastair fort,
»schien die einzig praktikable Lösung, dass Theresa bei mir
blieb. Was bedeutet, dass ich jetzt auch die traurige Aufgabe
hatte, ihre Eltern über die grauenvolle Tragödie zu informieren.«
Er wusste nichts von dem, was Janice mir erzählt hatte,
und fuhr fort zu erklären: »Wir haben es in der Zeitung gelesen. Das heißt, nicht ich habe es gelesen, sondern … jemand anderes. Es war nur ein kurzer Artikel; eine junge
Frau, und die Polizei suchte nach Angehörigen. Wir alle
spürten, dass es Theresa sein musste. Wir hatten schon fast
mit so etwas gerechnet. Und trotzdem, es war ein furchtbarer Schlag …«
Er hob den Blick und sah mich über den Tisch hinweg
an. Seine Augen waren blau, sehr blass, das Weiße farblos,
die Ränder wässrig. Er sah alt und gebrechlich aus, trotz seiner aufrechten Haltung und Eleganz.
»Sie war noch so unschuldig. Sie dachte, sie wüsste Bescheid über die Welt und das Leben. Aber natürlich wusste
sie überhaupt nichts. Sie sah die Gefahren nicht. Ich versuchte sie zu warnen, dass sie mit ihrer Art zu leben ein hohes Risiko einging. Sie hörte nicht zu. Sie wollte nichts hören. Ich bin nur ein alter Mann, der nicht das Geringste über
die Jugend von heute weiß. Doch manche Dinge ändern
sich nie. Die menschliche Natur zum Beispiel, leider! Früher
oder später würde Theresa mit Leuten zu tun bekommen
haben, die stärker, rücksichtsloser und, wie ich leider sagen
muss, cleverer sind als sie. Man möchte seine Kinder beschützen und kann es nicht. Das ist das Allerschlimmste
daran. Ich konnte sie nicht
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