Granger Ann - Varady - 01
Farbe.
In meiner lila Phase hatte ich auch einen goldenen Ring
im rechten Nasenflügel getragen. Damals war ich noch in
der Schule. Ich schätze, das muss, was mich betraf, der Rektorin den Rest gegeben haben – der Tag, an dem ich mit
purpurroten Haaren und Nasenring in die Schule kam. Ich
entsprach einfach nicht dem Bild, das ihr für ihre Schule
vorschwebte. Sie sagte es mir. Sie versuchten, Ladys aus uns
zu machen, selbst in jenen unbedarften Tagen. Sie meinte
natürlich, dass wohlsituierte Eltern, die ihre kostbaren
Töchter auf die Schule schicken wollten und zur Besichtigung kamen, nicht unbedingt damit rechneten, auf dem
Korridor einem daherschlurfenden Nasenring tragenden
Punk mit purpurroten Haaren zu begegnen. Es kam zum
Streit. Sie befahlen mir, den Nasenring abzulegen und meine Haare wachsen zu lassen. Ich weigerte mich. Eine Woche
später erhielt Dad den Brief. Auf Nimmerwiedersehen,
Francesca. Wir haben alles Menschenmögliche versucht, um
aus dir eine von uns zu machen, aber du warst wohl nicht
geeignet. Niemand kann aus einem Kieselstein einen Diamanten schleifen. Natürlich war alles viel höflicher ausgedrückt in ihrem Brief, aber genau das meinte sie.
Ein wenig später, als ich die Schauspielschule besuchte,
die ich ebenfalls niemals beenden sollte, tauschte ich den
Nasenring gegen einen Nasenstecker, golden mit einem
kleinen Diamanten, der im Sonnenlicht glitzerte. Ich trage
ihn immer noch. Er wird von einer kleinen Sechskantschraube auf der Innenseite gehalten. Wenn ich ihn eine
Weile nicht anziehe, füllt sich das Loch mit Seife. Tut mir
Leid, aber so ist das Leben nun einmal. Voller widerlicher
Details.
Ich ging meine Garderobe durch und kramte meine sauberste und beste Jeans, eine ohne Löcher, ein sauberes
Hemd, eine Baumwollweste und meine viktorianischen
Schnürstiefel mit flachen Absätzen hervor. Alles zusammen
sah gar nicht schlecht aus, als ich mich im Badezimmerspiegel musterte. Obwohl der Spiegel einem nicht gerade Zuversicht in sein Aussehen vermittelte. Er war stumpf und fleckig, und wenn man sich nackt darin betrachtete, sah das
Spiegelbild aus, als hätte man Lepra.
Abgesehen von meinem Nasenstecker bin ich eigentlich
nicht so sehr für Schmuck. Doch ich besaß Großmutter Varadys goldenes Medaillon, und ich legte es um. Als Lucy
noch bei uns wohnte, habe ich auf die Kinder aufgepasst,
während sie arbeiten oder auf Wohnungssuche war. Als sie
auszog, schenkte sie mir ihre gute Jacke, die ich immer so
bewundert hatte. Sie war aus einem locker fallenden blaugrauen Stoff und hatte ein hübsches silbergraues Satinfutter.
Sie hatte die Jacke immer in einer Plastiktüte aufbewahrt, in
Sicherheit vor den Kindern, weshalb die Jacke noch ziemlich
gut in Schuss war. Sie war mir ein wenig zu groß, also
krempelte ich die Ärmel um, und das Satinfutter wurde außen sichtbar, doch es sah ziemlich nett aus.
So also würde ich in Abbotsfield herumlaufen. Ich war
nicht sicher, wie lange ich bleiben würde (oder ob man
mich davonjagen würde, sobald ich ankam). Hoffen auf das
Beste und auf das Schlimmste vorbereitet sein , hat Wilhelm
von Oranien oder irgendjemand anderes mal gesagt. Ich
nahm meinen grün und lilafarbenen Matchbeutel und
stopfte Zahnbürste, Seife und ein Handtuch hinein, drei
saubere Schlüpfer, ein paar schwarze Nylons und ein Reservehemd. Es war noch Platz, also fügte ich einen Pullover
hinzu für den Fall, dass es kühl wurde, und schließlich meinen blauen durchgeknöpften Baumwollrock, meinen einzigen Rock, weil ich nicht sicher war, wo ich landen würde,
und Jeans möglicherweise nicht gerne gesehen waren. Der
Rock war praktisch, weil man ihn nicht bügeln musste. Er
sollte verknittert aussehen.
Es gelang mir, alles in meinem Beutel zu verstauen und
den Reißverschluss zu schließen. Mein Geld trug ich wie
immer in einem Brustbeutel um den Hals. Dort, wo ich bisher gewohnt habe, behält man sein Geld am Leib und lässt
es niemand anderen sehen.
Unter Nevs Büchern war eines mit dem Titel Drei Stücke von Turgenjew. Eins der drei Stücke hieß Ein Monat auf
dem Lande. Es erschien mir wie ein Fingerzeig des Schicksals, also steckte ich das Buch in die Tasche, um es während
der Busfahrt zu lesen.
Ich war fast mit allem fertig, als es an der Tür läutete. Es
war Ganesh.
»Ich dachte, falls du noch nicht weg bist, komme ich mit
zur Victoria und winke dir hinterher.« Er hob meinen
Matchbeutel hoch. »Was um alles in der Welt hast
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