Granger Ann - Varady - 02
ausgerechnet, dass ich Sie hier finden kann, und unsere Freunde
in dem Cortina haben dieselbe Idee gehabt. Wir treffen uns
morgen da, wo wir uns das erste Mal begegnet sind, in der
Marylebone Station. Neben dem Quick-Snack-Imbissstand.
Ich komme früh, so gegen acht Uhr. Können Sie dort sein?
Es ist sehr wichtig.« Ich griff nach seiner Hand. »Versprechen Sie mir, dass Sie kommen, Albie!«
»Mein liebes Kind«, begann er. »Ich verspreche dir alles, was
du willst. Wachs in den Händen einer Frau, ja, das bin ich.«
» Bitte , Albie …«
»Was würd ich nich alles für eine so schöne Frau wie dich
tun, Süße? Also gut, versprochen. Ich werd da sein, ganz
früh, so wie du es willst.« Er hob meine Hand und machte
ein Kussgeräusch, glücklicherweise ohne die Lippen auf
meine Haut zu drücken.
Ganesh und ich sahen ihm hinterher, wie er die Straße
hinunter zur Kirche schlurfte, um seinen Whisky mit Jonty
zu teilen. Ich hoffte, dass sie die Flasche erst leeren würden,
nachdem sie sich einen neuen Platz gesucht hatten – doch
ich hatte meine Zweifel. Niemand konnte es ihnen verdenken. Der Whisky machte das Elend für ein paar Stunden erträglicher. Hätte ich in ihrer Haut gesteckt, hinge ich wahrscheinlich auch an der Flasche. Ich fragte mich, woher Albie
die Flasche wohl hatte. Hatte er sie mitgehen lassen, oder
hatte er sie bezahlt – und falls er sie bezahlt hatte, wovon?
Andererseits schafften es Gewohnheitstrinker immer wieder, sich irgendwie ihren Lieblingsstoff zu besorgen.
»Vielleicht ist er morgen früh ja wirklich am Bahnhof«,
überlegte Ganesh. »Aber ich würd nicht darauf zählen. Wie
ich schon sagte, Fran: Du kannst ihn nicht zur Vernunft
bringen, indem du auf ihn einredest. Andererseits bleibt dir
schätzungsweise auch nichts anderes übrig, als dem alten
Trunkenbold zu vertrauen.«
»Du hast gesehen, was passiert ist!«, fauchte ich bitter.
»Du hast den blauen Cortina wieder erkannt! Du kannst
mir ja wohl kaum einen Strick daraus drehen wollen, wenn
ich mir Sorgen um Albie mache!«
KAPITEL 6 Als ich in jener Nacht nach Hause
kam, war ich vollkommen erledigt; trotzdem spürte ich ein
merkwürdiges Zögern, mich ins Bett zu legen. Die Erinnerung an die Schritte auf dem Pflaster über mir machte mir
zu schaffen.
Ich fiel vor dem Fernseher auf das Sofa, in der Hoffnung,
dass die Berieselung durch geistlose Mitternachtsshows
mich vielleicht ablenken würde. Es ist eigenartig, aber man
kommt jahrelang ohne etwas aus und vermisst es nicht. Was
immer es ist, wenn man es dann plötzlich und unerwartet
wieder hat, fragt man sich ganz schnell, wie man vorher überhaupt ohne zurechtgekommen ist, und kann sich ein Leben ohne nicht mehr vorstellen. So war das mit mir und
dem Fernseher.
Im letzten besetzten Haus, in dem ich gewohnt hatte, gab
es keinen Fernseher. Wir hatten nicht einmal Strom. Die
Stadtverwaltung hatte uns abgeklemmt – nicht, weil wir die
Stromrechnung nicht hatten bezahlen wollen, sondern weil
sie uns aus dem Haus raushaben wollten.
Dann kam ich hierher, und dort in der Ecke stand der
kleine Fernseher mit seinem verschneiten Bild und dem
rauschenden Ton, und schon war ich süchtig. Ich weiß, dass
man mit Fernsehen seine Zeit verschwendet. Aber es hilft
einem auch, die Zeit totzuschlagen. Wenn man keine Arbeit
hat, ist der Fernseher eine Art nörgelnder Freund, der den
ganzen Tag lang über die banalsten Dinge schwafelt und
endlos neue Bilder produziert, nur um die Zuschauer zu
amüsieren. Ich verstehe nur zu gut, dass viele alte Leute, besonders die, die allein leben, den Fernseher gleich als Erstes
am Morgen einschalten und ihn erst wieder ausmachen,
wenn sie abends ins Bett gehen.
Doch in dieser Nacht starrte ich nur auf den leeren Schirm.
Mir fehlten der Wille und die Kraft, das Ding einzuschalten,
nicht einmal für meinen gewohnten alten Schwarzweißfilm.
Es war nicht überraschend, dass ich so hundemüde war.
Es war ein langer Tag gewesen, mehr noch, weil ich in der
vorangegangenen Nacht nicht gut geschlafen hatte, früh
aufgestanden war und mich unerwartet in einem Disput mit
Detective Sergeant Parry wieder gefunden hatte. Dann das
Arrangement mit Angus wegen der Ausstellung am nächsten Samstag und die Suche nach Albie – plus seiner Rettung
vor Merv und seinem Komplizen.
Ich machte mir Sorgen um Albie und fragte mich, wo er
hingegangen sein mochte, nachdem wir ihn verlassen hatten, und ob er morgen früh tatsächlich wie verabredet an
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