Granger Ann - Varady - 02
angstvoll
zusammenkrampfte.
»Nein«, sagte er mit mir zugewandtem Rücken. »Soweit
ich weiß, verkauft Ihr indischer Freund immer noch Schokoriegel und Girlie-Magazine in diesem Kiosk seines Onkels. Was wollen Sie auf diesen Toast?«
Offensichtlich hatte er nicht vor, von sich aus damit herauszurücken. Doch wenn es nicht um Ganesh ging, konnte
es fünf Minuten warten, und ich brauchte diese fünf Minuten. Was auch immer der Grund für Parrys Auftauchen war,
ich wollte gewappnet sein.
»Eier«, antwortete ich endlich. Wenn der Mann so gerne
kochte, dann sollte er.
Nun, er war kein so großartiger Koch, doch wer bin ich,
dass ich ihn kritisiere? Ich saß an meinem Tisch und aß
mein Mittagassen, und er lümmelte sich auf dem Sofa, trank
Kaffee und rauchte. Er fragte nicht, ob ich etwas dagegen
hätte, sondern holte einfach seine Zigaretten heraus und
steckte sich eine an. Als ich fertig gegessen hatte, nahm ich
meinen Kaffeebecher und drehte mich auf meinem Stuhl zu
ihm um.
»Also schön«, meinte ich. »Dann lassen Sie mal hören.«
Er drückte die Zigarette in einer Untertasse aus, die er
sich in der Küche geholt hatte und die ihm als improvisierter Aschenbecher diente. Der Mann fühlte sich ohne jeden
Zweifel wie zu Hause, doch ich war zu besorgt, um etwas
dagegen zu sagen.
»Es tut mir wirklich Leid, Fran«, begann er. »Aber wir
haben Albie Smith gefunden. Wir haben den alten Burschen
heute Morgen um halb sieben aus dem Kanal gefischt. Ein
Jogger auf dem Treidelpfad hat ihn entdeckt.«
Es ist möglich, schockiert zu sein, ohne dass man überrascht ist. Das nagende Gefühl von Angst, das ich gehabt
hatte, als Albie nicht zu unserer Verabredung erschienen
war, hatte mich den ganzen Vormittag begleitet, und jetzt
stellte sich heraus, dass es durchaus begründet war. Aber in
einem gewissen Ausmaß vorbereitet zu sein war noch lange
kein Schutz gegen das Entsetzen und die Bestürzung, die
Parrys Worte in mir hervorriefen. Ich starrte ihn schweigend an, außer Stande, irgendetwas zu sagen. Ich dachte nur
immer wieder, dass Albies Leiche die ganze Zeit über auf
dem Treidelpfad gelegen hatte, um ihn herum all die Bullen,
denen er so zutiefst misstraute, während ich in der Marylebone Station auf ihn gewartet hatte.
Ich wusste, dass Parry es nicht gesagt hätte, wenn er nicht
hundertprozentig sicher gewesen wäre. Trotzdem spielte ich
ein paar Sekunden mit dem Gedanken, bis ich die Nachricht
verdaut hatte. »Sie haben ihn also eindeutig und zweifelsfrei
identifiziert?«, fragte ich. Meine Stimme klang unnatürlich,
und ich erkannte sie kaum wieder.
»Ja.« Parry winkte in Richtung des Tisches. »Ich dachte,
dass Sie etwas essen sollten, bevor ich es Ihnen sage. Ich
weiß ja, dass Sie den armen alten Teufel gemocht haben.
Aber sehen wir uns doch mal die Tatsachen an: Das war
doch kein Leben! Vielleicht geht es ihm besser, wo er jetzt
ist.«
Klar, hätte ich darüber mit ihm streiten können. Mir
fehlte nur im Augenblick die Kraft dazu. Parry hatte eine
seltene Anwandlung von Freundlichkeit und versuchte tatsächlich, mich zu trösten. Wobei er den Fehler beging, den
alle Leute machen, die in die Kategorie Hypothek, Auto und
zwei Komma vier Kinder fallen.
Solche Leute halten das Leben für einen dieser Fragebögen mit kleinen Kästchen, die man je nach den Lebensumständen ankreuzt. Wenn man gerade eben genug angekreuzt
hat, »schlägt man sich gut«. Zu viele Kreuzchen, und man
ist ernsthaft benachteiligt. Sie nehmen an, dass wir all die
Dinge wollen und brauchen, die unsere Konsumgesellschaft
als essenziell für Gesundheit und Wohlbefinden erachtet.
Aber was ist mit der Fähigkeit, Glück in kleinen Dingen zu
finden? Manche Leute würden mich mustern und danach
meinen, dass mein Leben nicht viel wert sei. Sie sagen das
über die Schwerbehinderten, über die Geisteskranken und
die vom Alkohol gezeichneten Stadtstreicher wie Albie. Ich
sage nicht, dass Albies Lebensstil nicht verbesserungsbedürftig gewesen wäre. Doch als ich ihn das letzte Mal gesehen
hatte, war er mit einer halben Flasche Bell’s Whisky auf dem
Weg zum Windfang von St. Agatha gewesen und hatte seinen Kumpel Jonty gesucht. Er war recht glücklich gewesen.
Zugegeben, kurz zuvor hatte man ihm einen gehörigen
Schrecken eingejagt, und nur meine und Ganeshs zufällige
Anwesenheit hatten ihn gerettet; das allerdings dürfte er
ziemlich bald schon wieder vergessen haben. Und zu
dumm, dass er es vergessen hatte. Vielleicht
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