Granger Ann - Varady - 02
Chaos.
Ich kam nicht an den Tischlern vorbei, also blieb ich neben ihnen stehen und brüllte: »Entschuldigung?«
»Womit kann ich dir helfen, Süße?«, erkundigte sich der
jüngere der beiden, in einem purpurnen ärmellosen Unterhemd mit dicken Muskeln darunter, Körpergeruch und
schmutzigen blonden Locken, die er im Nacken mit einem
Stück Band zusammengebunden hatte.
»Er lebt nur von der Hoffnung, junge Frau«, sagte sein
Kollege zwinkernd zu mir. »Sie wollen da rein, hab ich
Recht?«
Was hatten wir denn da für einen Schnelldenker? Ich
stand ja bloß auf der Stufe und versuchte mich an den beiden vorbeizuquetschen.
»Was ist denn passiert?«, fragte der mit dem Unterhemd.
»Hat dein Alter dir eine verpasst, oder was?«
»Ich bin nur hergekommen, um eine Freundin zu besuchen«, erklärte ich in der Hoffnung, ihn zum Schweigen zu
bringen. Ich schob mich an den beiden vorbei.
Die Popmusik im Radio war verstummt, und ein Sprecher faselte irgendetwas über irgendein Thema. Der kahl rasierte Glaser begann daraufhin falsch zu singen.
»Sie wollen bestimmt nicht da rein«, behauptete der
zweite Schreiner. »Eine ziemlich merkwürdige Sorte da
drin.«
»Ich hätte nichts dagegen reinzugehen«, meinte der Bursche im ärmellosen Unterhemd.
»Er ist sexbesessen«, rief der West-Ham-Fan vom Fenstersims her.
»Wer iss’n das nich?«, rechtfertigte Unterhemd seine Interessen.
Ich überließ sie ihren Streitereien und schob mich an der
beschädigten Tür vorbei in den Hausflur.
Die Tür zum Esszimmer war verschlossen, genau wie die
nächste Tür links. Doch rechts, die Tür mit der Aufschrift
»Büro«, stand offen, und ich hörte das Klappern einer Tastatur. Ich klopfte.
Wie ich gehofft hatte, war der Drachen mit der billigen
Perücke so früh am Morgen nicht im Dienst. Statt ihrer verrichtete eine mütterliche, nichtsdestotrotz kompetent aussehende Frau in einer Seidenbluse, einem weiten Rock und
– tatsächlich! – einem Aliceband in den verblassten blonden
Haaren ihren Dienst. Ich wusste sogleich, woran ich mit ihr
war. Es war an der Zeit, das Vermächtnis einer guten Erziehung aus dem Hut zu ziehen (die in meinem Fall nicht sonderlich viel gebracht hatte, doch das spielte für den Augenblick keine Rolle).
»Es tut mir schrecklich Leid, wenn ich Sie störe«, sagte
ich mit zurückhaltendem Lächeln.
»Ach, überhaupt nicht!«, antwortete sie fröhlich. »Kommen Sie doch herein und nehmen Sie Platz. Einen kleinen
Augenblick, ich räume den Stuhl frei.« Sie nahm einen Stapel Papiere von einem Stuhl. »Bei uns geht es heute Morgen
drunter und drüber, fürchte ich.«
»Meine Güte, ja«, plapperte ich los. »Ich hab gesehen, was
draußen los ist. Beängstigend.«
»Nichts wirklich Schlimmes«, versicherte sie mir. »Nur
ein wenig ärgerlich.« Sie senkte die Stimme. »Die kennen
keine anderen Mittel, wissen Sie?«
Ich setzte mich auf den Stuhl, mehr vorn auf die Kante,
die Knie eng aneinander, wie ich es gelernt hatte. »Der
Grund für mein Herkommen ist, dass ich mir schreckliche
Sorgen wegen einer Freundin mache, einer alten Schulfreundin genau genommen. Ich hab sie nicht mehr oft gesehen, seit wir die Schule hinter uns haben, aber wir sind uns
vor einer Weile zufällig auf der Straße begegnet und waren
einen Kaffee trinken. Wir haben uns erzählt, was in der Zwischenzeit alles passiert ist, verstehen Sie?«
Sie lächelte wissend und nickte, doch ihre Augen blieben
wachsam.
Ich redete weiter. »Sie schien nicht besonders glücklich.
Sie hatte ein Problem mit einem Mann oder so, aber sie
wollte nicht weiter darüber reden. Die Sache ist, seitdem ist
sie verschwunden. Ich habe überall nach ihr gefragt, und
niemand hat sie gesehen. Deswegen habe ich angefangen, an
den am wenigsten wahrscheinlichen Plätzen zu suchen. Das
ist der Grund, aus dem ich hergekommen bin. Ihr Name ist
Lauren Szabo. Sie hat lange Haare, und als ich sie das letzte
Mal gesehen habe, trug sie Jeans und einen weiten Pullover
und ein Haarband, wie Sie es tragen.«
»Meine Liebe«, sagte die Frau, »wir geben keine Namen
und keine persönlichen Einzelheiten über die Frauen bekannt, die bei uns um Hilfe nachsuchen. Wir dürfen es
nicht. Ich hoffe, Sie verstehen das. Das Prinzip unseres Hauses lautet Vertrauen.«
»O ja!«, hauchte ich verständnisvoll. »Ich meine, ich würde
gar nichts anderes erwarten! Ich wäre auch schon zufrieden,
wenn ich wüsste, dass sie hier war und in Sicherheit ist.«
»Nun ja … ich
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