Granger Ann - Varady - 02
verstehe Ihr Problem. Das Dumme ist
nur …«
Es klopfte an der Tür, und der Tischler im Unterhemd
streckte den Kopf herein. »Sie wissen ja, dass der Türrahmen nicht rechteckig ist?«, fragte er.
Ich verfluchte ihn im Stillen und versuchte es mit Telepathie, um ihn dazu zu bringen, dass er verschwand und sich
alleine um den verdammten schiefen Rahmen kümmerte.
Schließlich war er der Tischler. Aber die Telepathie funktionierte nicht.
»Wir müssen die Tür abhobeln, sonst klemmt sie, einverstanden?«
Sie sah ihn nervös an. »Ich komme und sehe mir das an.«
Zu mir gewandt sagte sie: »Könnten Sie vielleicht einen Augenblick auf mich warten? Äh, nicht hier drin. Kommen Sie
hier entlang, ja?«
Sie führte mich an dem Tischler vorbei, der mir zuzwinkerte und fragte: »Alles in Ordnung, Darling?«
»Danke sehr«, entgegnete die Dame mit dem Aliceband für
mich, bevor ich antworten konnte. Sie durchquerte den Flur
mit ein paar schnellen Schritten und öffnete die Tür zum Esszimmer. »Bitte warten Sie hier, wenn es Ihnen nichts ausmacht.« Sie bedeutete mir einzutreten. »Ich bin gleich wieder
zurück«, versprach sie und schloss hinter mir die Tür.
Der Raum roch nach schalem Gemüse und altem Fett
gemischt mit dem Essigaroma, das die Hersteller von Abbeizern als »Limonenduft« zu bezeichnen pflegen. Ich setzte
mich an den Tisch, während ich mich fragte, was es wohl an
diesem Abend zu essen geben mochte und zugleich froh
war, dass ich es nicht selbst essen musste.
Die Tür knarrte, und ich drehte den Kopf. Langsam öffnete sie sich. Ich wartete. Ein Schlurfen auf der anderen Seite, dann streckte ein Kind den Kopf herein.
»Hallo«, sagte ich.
»Was machst du da?«, fragte das Kind misstrauisch.
»Man hat mir gesagt, dass ich hier drin warten soll«, antwortete ich der Wahrheit gemäß.
Sie schien sich mit der Erklärung zufrieden zu geben,
denn sie kam herein und schloss hinter sich die Tür. Sie war
ungefähr neun, mit einem rundlichen, harten, misstrauischen kleinen Gesicht und strähnigem braunem Haar. Sie
trug ein ärmelloses Baumwoll-Trägerkleid, das ihr zu groß
war, heruntergerollte weiße Socken und schwarze Plastikschuhe. Sie kletterte auf einen Stuhl am Kopfende des Tisches, stützte die Ellbogen auf die vernarbte Tischfläche und
musterte mich prüfend.
»Du hast gar keine blauen Flecken«, meinte sie vorwurfsvoll, als wäre ich durch einen Test gefallen.
»Hab ich wohl«, entgegnete ich. »Ich hab rein zufällig einen blauen Fleck am Rücken und einen am Arm.« Ich schob
meinen Ärmel hoch und zeigte ihr die Abdrücke der Finger
von Szabos Chauffeur-Gorilla.
Doch das war offensichtlich nicht gut genug. Sie schniefte
verächtlich. »Das ist doch gar nix! Meine Mum hat ’nen gebrochenen Arm. Gary, ihr Freund, hat das gemacht.«
»Das tut mir Leid«, sagte ich. »Wie heißt du eigentlich?
Ich bin Fran.«
»Ich heiß Samantha«, sagte sie würdevoll. »Mum hat
mich nach einem Pin-up-Girl getauft.«
»Ein hübscher Name. Also sind du und deine Mum wegen dem Freund deiner Mum hier?«
»Ich hab ihn von Anfang an nich gemocht, den Gary«,
gestand sie mir. »Ich mocht den Freund, den Mum vor Gary
hatte. Er heißt Gus. Er konnte mit den Fingern knacken, so
…« Sie zog heftig an einem ihrer kleinen Fingerchen, doch
zu ihrer Enttäuschung gab es kein Knacken. »Sie hätt bei
Gus bleiben soll’n. Er hat ’ne Arbeit und alles.«
Offensichtlich hatte ich hier eine kleine Briefkastentante
vor mir. Und vielleicht hatte sie auch Recht mit dem, was
sie mir da erzählte. Mit den Fingern zu knacken war in gewisser Hinsicht eine Leistung, keine Frage. Schließlich kann
das nicht jeder. Wenn dann noch eine feste Arbeit dazukam,
war ich geneigt zuzustimmen, dass Samanthas Mum unklug
gewesen war, als sie Gus wegen dem arbeitsscheuen, gewalttätigen Gary verlassen hatte.
Dann fiel mir die kurze Diskussion zwischen den Arbeitern
ein. Gary hatte wahrscheinlich das Charisma eines Popstars
und war eine Seele und Bereicherung für jede Party, wenn er
nicht gerade eine Freundin dermaßen verprügelte, dass ihr
Hören und Sehen verging, während der arme Gus Abend für
Abend dagesessen und mit den Fingern geknackt hatte und
frühzeitig zu Bett gegangen war, weil er am nächsten Morgen
früh aufstehen musste, um zur Arbeit zu gehen.
Hoffentlich vergaß die kleine Samantha das nicht alles,
bis sie erwachsen war. Oder vielleicht sollte ich lieber sagen
älter, denn erwachsen schien sie mehr oder weniger
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