Granger Ann - Varady - 03
seinen Knopfaugen jegliche Begeisterung,
die ich mühsam aufgebaut hatte, glatt im Keim. Er trug die
älteste und heruntergekommenste grüne Regenjacke, die ich
je gesehen hatte. Es war die Sorte von Jacke, die man eigentlich wachsen musste, doch das Wachs war längst verschwunden, und die Seitentaschen waren ausgebauscht und
hingen herab. Wahrscheinlich trug Parry diese Jacke, wenn
er sich unerkannt unter die Menge mischen wollte, doch irgendetwas an ihr, irgendetwas an dem ganzen Mann schrie
»Bulle!«
Unter der Jacke bemerkte ich einen eigenartigen, handgestrickten Pullover mit Seilmuster, wahrscheinlich ein Geschenk von irgendeiner älteren weiblichen Verwandten.
Selbst der flüchtige erste Blick auf den Pullover zwischen
den Schößen der wachslosen Wachsjacke enthüllte gleich
eine ganze Reihe von Musterfehlern, Strängen, die sich in
die falsche Richtung drehten, jede Menge Maschen, wo keine hätten sein dürfen und umgekehrt. Wer auch immer diesen Pullover gestrickt hatte, entweder war sie halb blind gewesen oder hatte mit einem Auge auf den Fernseher geschielt. Doch wer bin ich, dass ich Kritik übe? Das Einzige,
was ich je im Leben gestrickt habe, war ein Dr.-Who-Schal,
und damals war ich ungefähr zwölf. Ich brauchte ein ganzes
Jahr dafür, und er war längst außer Mode, als ich ihn endlich fertig hatte.
Außerdem schaffte ich es einfach nicht, Polizisten gegenüber freundliche Gefühle aufzubringen. Die Geschichte mit
Harford hatte mir wahrscheinlich den Rest gegeben, doch es
gab auch noch andere Gründe. Ich hatte Zeit gehabt, über
meine kürzliche Kooperation mit der Polizei nachzudenken,
und ich war zu dem Schluss gekommen, dass ich mich, ganz
gleich, was in Zukunft geschehen würde, nie wieder überreden
lassen würde, mich so weit in die Schusslinie zu wagen. Mir
war keine großartige andere Wahl geblieben, weil Pferdeschwanz sich so oder so bei mir gemeldet hätte, aber Sie wissen sicher trotzdem, was ich meine. Wenn ich so darüber
nachdenke, hätte ich Pferdeschwanz gleich sagen sollen, dass
die Polizei die Bilder und die Negative hatte. Sollte er sehen,
was er daraus machte. Der Fußweg über die Hungerford
Bridge hatte sich unauslöschlich in mein Gedächtnis eingebrannt. Was Jason Harford anging, so hätte ich beinahe den
schlimmsten Fehler meines Lebens gemacht. Was wieder
einmal zeigt, dass man seinen Instinkten vertrauen sollte. Ich
hatte ihn bei unserer ersten Begegnung nicht gemocht, und
dabei hätte es bleiben sollen. Aber jeder macht mal einen Narren aus sich, und warum sollte ich eine Ausnahme bilden? Es
liegt keine Schande darin, etwas Dummes zu tun, vorausgesetzt, man lernt daraus und macht den gleichen Fehler nicht
ein zweites Mal. Und das hatte ich ganz gewiss nicht vor.
»Was wollen Sie?«, fragte ich verdrießlich.
»Vorbeischauen und sehen, ob es Ihnen gut geht«, erzählte er mit öliger Unaufrichtigkeit.
Ich sagte ihm, was ich davon hielt. »Ich mag weder Polizisten sehen noch mit ihnen reden. Ich habe die Nase voll
bis hierhin …«, ich zeigte ihm die Stelle, »… von Bullen und
ihren verschlagenen Methoden. Wenn Foxley noch irgendwas von mir will, dann sagen Sie ihm, er kann mich mal.«
»Hey!«, sagte Parry beleidigt. »Ich war immer ehrlich zu
Ihnen!«
Falls er immer ehrlich zu mir gewesen war, dann sicherlich deshalb, weil Subtilität nicht zu seinen Stärken gehörte.
Über Parrys Schulter hinweg bemerkte ich den alten Mann
von gegenüber. Er stand auf dem Bürgersteig und hielt
Nachbarschaftswache. So oft, wie Parry in letzter Zeit hier
gewesen war, musste er wissen, dass ein Gesetzeshüter auf
meiner Schwelle stand. Allein aus diesem Grund beschloss
ich, Parry eintreten zu lassen.
»Ah, Sergeant!«, rief Daphne, als sie durch den Flur kam.
»Frohe Weihnachten wünsche ich Ihnen!«
»Ihnen ebenfalls, Ma’am!«, antwortete Parry. Er vollführte eine Bewegung, die wahrscheinlich eine Art Verbeugung
darstellen sollte, indem er sich, ohne in der Leibesmitte abzuknicken, nach vorne lehnte und dabei zur Seite schwankte
wie der Schiefe Turm von Pisa.
»Sie sind immer so widerlich höflich zu Daphne«, sagte
ich. »Nicht, dass ich etwas dagegen hätte, aber mich behandeln Sie nie so. Bin ich keine Bürgerin dieses Landes? Habe
ich keine Rechte?«
»Miss Knowles ist eine Lady«, antwortete Parry eingeschnappt.
»Oh, danke sehr. Was wollen Sie?«, fragte ich erneut,
diesmal mit mehr Nachdruck.
Parrys fleckige Haut wurde noch unansehnlicher, als
Weitere Kostenlose Bücher