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Granger Ann - Varady - 04

Titel: Granger Ann - Varady - 04 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dass sie stets Boses muss gebaren
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wenig zur Seite geschoben wurde. Ich erhaschte einen kurzen Blick auf ein Gesicht, das ich jedoch
nicht deutlich erkennen konnte. Der Netzvorhang fiel an
seinen Platz zurück. Ich wartete.
    Hinter der Tür erklang das Geräusch sich nähernder
Schritte. Keine festen Schritte, mehr ein Schlurfen mit einem leisen Bums dazwischen. Dann ertönte ein Klicken und
ein Rasseln. Jemand legte eine Sicherheitskette vor, doch
wenigstens öffnete er überhaupt. Die Tür glitt einen Spaltbreit auf, und ich blickte erneut in ein Gesicht – auch wenn
es sich nur in Höhe meiner Brust befand.
    »Ja bitte?« Die Person hinter der Tür war kein Kind. Es
war eine Frauenstimme, älter, doch kühl und zuversichtlich.
Ich bin nicht besonders groß. Die Frau musste ungewöhnlich klein sein.
    »Mrs Mackenzie?« Ich spürte, wie ich mich unwillkürlich
duckte, um ihr in die Augen zu sehen. Viel war durch den
Spalt nicht zu erkennen. »Ihre Nachbarin in sechsundzwanzig hat mich an Sie verwiesen. Ich suche eine Familie Wilde,
die vor einigen Jahren dort gewohnt hat. Ihre Nachbarin
meinte, Sie würden sich vielleicht an die Wildes erinnern.«
    Die Frau hinter der Tür antwortete nicht sogleich. »Warten Sie, lassen Sie mich kurz überlegen«, sagte sie schließlich.
Die Tür wurde wieder geschlossen, doch nicht ganz. Ich
vernahm leise Geräusche, als würde sich jemand entfernen,
und dann zu meiner Überraschung – Stimmen. Mrs Mackenzie war nicht allein. Irgendwie hatte ich sie mir als Witwe vorgestellt. Doch sie unterhielt sich mit einem Mann.
Keinem alten Mann, wie ich bemerkte, als ich angestrengt
lauschte. Die männliche Stimme klang sogar ziemlich jung.
Dann kam sie wieder zur Tür. Die Kette rasselte erneut
und fiel herab, und die Tür wurde weit geöffnet.
Zwei Personen standen vor mir, Mrs Mackenzie unmittelbar hinter der Tür, und ich bemerkte den Grund für den
leisen Bums zwischen den Schritten. Früher einmal musste
sie eine Schönheit gewesen sein, schätzte ich, eine große,
schlanke Frau. Ihre Haare waren zwar ergraut, doch sie waren immer noch dicht und nach hinten gekämmt und zu einem Knoten gesteckt. Heute ging sie vornübergebeugt und
an einem speziellen Stock, der ihr gestattete, sich auf den
horizontalen Griff zu stützen. Ihr Strickrock und die Bluse
schlackerten locker an ihrem Leib wie eine Verpackung, die
sich jeden Augenblick zu lösen droht. Sie war leicht geschminkt, und ihr Blick senkte sich ohne zu wanken in den
meinen. Ihr Leib mochte vom Alter oder fortschreitender
Gebrechlichkeit gebeugt sein, doch der Verstand hinter ihrer Stirn arbeitete noch immer messerscharf.
Vielleicht hatte sie das Make-up nur aufgelegt, weil sie an
diesem Nachmittag einen Besucher hatte – außer mir selbst,
heißt das. Denn direkt hinter ihr stand ein junger Mann ungefähr in meinem Alter in dem breiten, rechteckigen Flur.
Er war groß und kräftig gebaut und trug ein Rugby-Trikot
und Jeans. Er besaß einen dichten blonden Lockenschopf,
und ich meinte, eine leichte Ähnlichkeit zwischen ihm und
der alten Dame zu erkennen. Ein Sohn? Ich war nicht sicher.
Er begegnete meinem Blick über die Schulter von Mrs
Mackenzie hinweg. »Hi«, sagte er.
»Die Wildes sind vor ungefähr zehn Jahren von hier weggezogen«, sagte Mrs Mackenzie in diesem Augenblick. Sie
musterte mich auf eine Weise, die weder neugierig noch unfreundlich wirkte, obwohl ich entweder das eine oder das
andere erwartet hätte. Wenn überhaupt, dann schien sie
mich Punkt für Punkt abzuschätzen. Ich hatte das Gefühl,
als hakte sie eine Liste ab und als erteilte sie mir Noten für
meine Ausdrucksweise, meinen Blazer, meine Jeans, meine
Frisur und mein allgemeines Auftreten.
»Tatsache ist, ich habe eine Adresse, aber ich bin im Augenblick nicht sicher, wo ich sie hingetan habe«, fuhr sie
fort. »Wir schicken uns zu Weihnachten Grußkarten, das ist
alles. Wie dem auch sei, Sie werden verstehen, dass ich zögere, Ihnen die Adresse einfach so zu geben. Vielleicht könnte
ich mich mit den Wildes in Verbindung setzen, wenn Sie
mir erzählen würden, wer Sie sind. Nachdem ich die Adresse gefunden habe, heißt das.«
Das war ein geschicktes Manöver, mit dem ich nicht gerechnet hatte. Sie versuchte eindeutig Zeit zu schinden.
Wenn ich zuließ, dass sie mit den Wildes in Kontakt trat,
war ich erledigt. Ich musste die Adresse hier und jetzt in Erfahrung bringen, und ich glaubte nicht, dass sie sie verlegt
hatte. Manchmal kommt man nur mit der

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