Granger Ann - Varady - 04
einfühlsamsten Bullen erwiesen, denen ich je begegnet war.
Meine erste Empfindung war die immenser Erleichterung. Ich hatte schon gefürchtet, dass ich es mit meinem alten Feind Sergeant Parry zu tun bekommen würde. Doch
Morgan hatte einen anderen Sergeant bei sich, den ich nicht
kannte. Er hatte die Schaulustigen vertrieben und stand nun
ein wenig abseits, während er mit kleinen hinterlistigen Augen jedes Detail meines häuslichen Arrangements in sich
aufnahm.
»Ich hatte es auch nicht vor«, sagte ich. »Das Gefühl beruht auf Gegenseitigkeit, Inspector, wenn Sie verstehen, was
ich meine. Das soll keine Beleidigung sein, aber ich kann
nichts für das, was hier passiert ist.«
Morgan musterte mich mit einem merkwürdigen Blick
und ging nach draußen. Einer der Uniformierten folgte ihr.
Wir beobachteten, wie sie zu Dukes Wagen ging und den
Tatort in Augenschein nahm. Als sie zurückkam, rief sie einen der beiden ersten Uniformierten zu sich und ließ sich
von ihm berichten, was sie bisher hatten feststellen können.
Dabei schnappte ich mehrfach die Worte »Gehilfe im Zeitungsladen« und »Obdachlose« auf. Ich wollte ihn korrigieren – ich war nicht obdachlos. Ich lebte lediglich in einem
provisorischen Quartier, bis ich eine neue Wohnung gefunden hatte. Andere Leute mochten das für obdachlos halten,
doch für mich bedeutet obdachlos, überhaupt kein Dach
über dem Kopf zu haben. Das ist ein großer Unterschied,
glauben Sie mir.
Morgan kam zu Ganesh und mir. »Ich denke, wir alle
würden uns auf der Wache komfortabler fühlen.«
»Wir müssen nicht mit zur Wache kommen«, sagte ich
störrisch. Ich hatte es oft genug mitgemacht, um die Vorschriften zu kennen.
Ganesh verdarb es erneut, indem er beharrte: »Aber wir
können auch nicht in den Laden! Ich hab dir doch gesagt,
Onkel Hari geht an die Decke! Er geht sowieso an die Decke,
wenn er erfährt, dass ich in den nächsten ein oder zwei
Stunden nicht arbeiten kann.«
Ich hielt zwei Stunden für extrem optimistisch, doch das
sagte ich ihm nicht.
Morgan musterte ihn. »Sie haben dem Kollegen berichtet,
dass Clarence Duke bei Ihnen im Laden gewesen ist. Hat
diese andere Person, Hari heißt sie, glaube ich, Duke ebenfalls gesehen?«
Diesmal war Ganesh tatsächlich versucht zu lügen. Ich
konnte es an seinem Gesicht erkennen. Doch schließlich gab
er zu, ja, sein Onkel hatte Clarence Duke ebenfalls gesehen.
Morgan meinte, dass sie in diesem Fall irgendwann auch
mit Onkel Hari würde sprechen müssen. Ganesh setzte zu
einer ausschweifenden Erklärung an, dass sein Onkel es mit
den Nerven hatte und so weiter, doch es führte zu nichts.
Sie ließen ihn die Garage absperren und zu Hari vorausgehen, um ihm zu erklären, dass er für eine Weile wegmüsste.
Ich rief ihm hinterher, Bonnie in den Lagerraum zu setzen,
und hörte, wie er eine missmutige Antwort murmelte, doch
ich war sicher, dass er meine Bitte erfüllen würde, selbst
wenn sie ihn unablässig anbellte und nach seinem Hosenbein schnappte.
Wenige Minuten später kam er zurück und erklärte: »Ich
habe Onkel Hari gesagt, es hätte einen Unfall gegeben.«
Sie ließen uns hinten in ihren Wagen einsteigen und fuhren mit uns zur Wache.
Nachdem wir dort angekommen waren, wurden wir ganz
vorschriftsmäßig getrennt. Die Atmosphäre war nicht länger
mitfühlend. Ich wurde von einem Schreibtischbeamten, der
vor formeller Höflichkeit (die in Wirklichkeit offener Sarkasmus war) nur so troff, in ein Verhörzimmer geführt, wo
er mir eine Tasse Tee anbot. Ich nahm dankend an. Es würde ein langer Vormittag werden, selbst wenn Ganesh das
noch nicht zu glauben schien. Der Tee kam in einem Plastikbecher. Er sah aus wie Holzschutzmittel und roch auch
ziemlich danach. Man versicherte mir, dass es nicht lange
dauern würde, bis Inspector Morgan zu mir käme, und ließ
mich dann mit meinen brütenden Gedanken allein.
Doch Brüten war keine gute Idee. Ich hätte die Chance
nutzen und angestrengt nachdenken sollen. Allerdings war
das gar nicht so einfach nach einer so kurzen Nacht und
dem frühen Aufstehen am Morgen. Mein Gehirn fühlte sich
an, als wäre mein Schädel von einem Sandsack getroffen
worden. Ich fühlte mich außerdem niedergeschlagen, und
nicht nur, weil einen die Entdeckung einer Leiche vor dem
Frühstück runterzieht, sondern weil ich neben all meinen
anderen »kleinen« Problemen nun dieses Riesenproblem
mit in Betracht ziehen musste. Was ich wirklich brauchte,
war eine
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