Granger Ann - Varady - 04
Angst. Meine Mutter liegt im Sterben. Sie will
nicht, dass … irgendetwas aufgerührt wird. Sie möchte Ihnen durch mich lediglich mitteilen, wie dankbar sie Ihnen
ist für all das, was Sie vor Jahren für meine Mutter getan
haben.«
Ganesh hatte absolut Recht gehabt. Ich hatte mich in etwas hineinmanövriert, um das ich einen weiten Bogen hätte
machen sollen. Wie hatte ich glauben können – wie hatte
meine Mutter glauben können, dass ich mir nichts, dir
nichts in das Leben dieser Leute marschieren konnte und
kein seelisches Erdbeben damit auslösen würde und nicht
die Fundamente ihrer Welt erschüttern?
»Ich kenne Ihre Mutter nicht«, sagte sie jetzt störrisch.
»Eva Varady.«
»Ich kenne keine Eva Varady. Sie müssen sich im Haus
geirrt haben. Wir sind die falschen Wildes.«
»Hören Sie«, sagte ich mitfühlend, weil ich mich fühlte wie
eine Laus. »Meine Mutter hat mir alles darüber erzählt, aber
Sie müssen sich wirklich keine Sorgen machen. Ich möchte
bestimmt nichts kaputtmachen. Meine Mutter möchte lediglich wissen, ob es … ob es Ihnen und … Ihrer Tochter gut
geht …« Meine Stimme erstarb.
Flora Wilde hatte einen Teil ihrer Fassung zurückgewonnen. Die Angst war aus den blauen Augen verschwunden,
und sie starrten mich jetzt so hart und gläsern an wie die
Augen im Kopf eines Dummys. »Ich weiß nicht, was das alles bedeuten soll, doch ich nehme an, dass es letzten Endes
um Geld geht. Obwohl mir nicht ganz klar ist, wieso Sie
glauben, dass Sie etwas von mir kriegen könnten.«
»Nein!«, sagte ich abwehrend. Ich war entsetzt – natürlich
glaubte sie, dass dies der Anfang eines Erpressungsversuchs
sein musste. »Mrs Wilde, wenn Sie mich erklären lassen
würden, was es mit mir und meiner Mutter auf sich hat? Es
würde die Dinge einfacher machen.«
Eine ältere Frau ging unten auf dem Bürgersteig vorbei
und rief Flora einen Gruß zu. Sie führte einen übergewichtigen Foxterrier spazieren.
Flora Wilde erwiderte den Gruß automatisch, doch die
Vorstellung, dass Nachbarn sie dabei beobachteten, wie sie
mit mir auf der Schwelle ihres Hauses stritt, brachte sie dazu, ihr Verhalten zu ändern.
»Sie können reinkommen«, sagte sie mit gepresster
Stimme. »Vorausgesetzt, Sie belästigen uns nicht wieder,
gebe ich Ihnen fünf Minuten, um zu erklären, warum Sie
hergekommen sind. Und dann verschwinden Sie entweder
oder ich rufe die Polizei.«
In ihrer Stimme schwang Verzweiflung mit, und ich
glaubte die Ursache dafür zu kennen. Die Wildes konnten
sich nicht leisten, die Polizei oder irgendeine andere Behörde einzuschalten, jedenfalls nicht im Zusammenhang mit
meinem Auftauchen. Ich hätte eigentlich überhaupt nicht
hier sein dürfen. Das, was hier geschah, hätte eigentlich
niemals geschehen dürfen. Wenn irgendein Außenseiter, in
Uniform oder Zivil, mich jemals fragte, warum ich hier war,
würde das Öl ins Feuer bedeuten. Plötzlich würde jeder
Antworten verlangen.
Mrs Wilde führte mich in die Küche, doch ich bezweifelte, dass sie mir Tee oder Kaffee anbieten würde. Ich schätzte, dass dieser hintere Teil des Hauses nachträglich angebaut
worden war. Er bildete einen großzügigen, luftigen Raum,
der einen hübschen Ausblick auf den Garten bot, wenn es
draußen wärmer und schöner war. Im Moment hatte er
nichts als winterliche Leere. Die Büsche und Stauden draußen im Garten waren bis auf die braunen Stämme zurückgeschnitten worden. Nasse Blätter von den Bäumen in der
Nähe übersäten den Rasen und die nackten Blumenbeete in
einem verwesenden Teppich. Das Einzige, was auf Leben
hinwies, war eine Wäschespinne mit ein paar Handtüchern
daran, die unruhig im Wind flatterten. Es gab eine Vogeltränke, aber keine Spur von Vögeln, obwohl jemand ein
paar Brotkrumen ausgelegt hatte.
Die Küche bildete einen gemütlichen Kontrast zu alledem. Die Weichholzmöbel und die getrockneten Sträuße
von Blumen und Kräutern an den Wänden strahlten einen
Hauch von Homes and Gardens aus. Die vorherrschenden
Farben waren gedämpftes Blau und Braun. Mrs Wilde deutete auf einen Stuhl am Tisch und setzte sich mir gegenüber.
In ihrem zu großen rosafarbenen Pullover mit ihrem Puppenkopf erinnerte sie mich an einen Teewärmer, den Großmutter Varady früher einmal besessen hatte. Eine chinesische Lady aus Porzellan über einem gestrickten Rock.
Ich vermutete, dass Flora Wilde erst kurze Zeit zuvor
vom Einkaufen zurückgekehrt war. Sie hatte ihre Taschen
und Tüten
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