Granger Ann - Varady - 04
»Holloways. Er
war auf Chambord im Loire-Tal gewesen und wollte ein
Haus, das genauso aussah, doch als der Bau bereits ziemlich
weit fortgeschritten war, kam er nach Cambridge und fand
Geschmack an der gotischen Architektur dort. Also kehrte
er hierher zurück und beauftragte den Architekten, gotische
Elemente hinzuzufügen. Der arme Kerl muss fast wahnsinnig geworden sein. Holloway hat außerdem ein Sanatorium
hier in der Gegend gebaut, sieht ganz genauso aus.«
Zwei Mädchen und ein junger Mann kamen aus dem
Park und stapften laut die Treppen hinauf. Wir warteten,
bis sie um die Ecke verschwunden waren.
»Eben haben Sie das Wort ›Wahrheit‹ benutzt, aber Sie
halten offensichtlich selbst nicht viel davon. Sie haben versucht, sich unter falschem Namen vorzustellen. Sie haben
Schwester Helen den gleichen falschen Namen genannt, als
Sie vorgestern meine Mutter besuchen wollten. Sie wurden
nur deswegen nicht zu ihr vorgelassen, weil meine Mutter
schlief. Sie haben eine Weile gewartet, dann sind Sie nach
draußen gegangen und haben mit Ihrem Handy telefoniert.
Anschließend sind Sie in großer Eile aufgebrochen und hätten mich dabei fast über den Haufen gefahren. Ich bin in die
Rhododendren gefallen.«
»Sie sind sehr gut informiert«, sagte er kalt. »Und ich habe Ihnen bereits erklärt, dass ich Sie nicht gesehen habe. Ich
war mit den Gedanken woanders, weil ich schlechte Neuigkeiten erfahren hatte.«
»Schwester Helen hat Sie gesehen. Das ist der Grund, aus
dem ich gut informiert bin. Warum wollten Sie zu meiner
Mutter? Was wollten Sie von ihr? Erzählen Sie mir nicht, Sie
wären hergekommen, weil Sie sich um meine Mutter sorgen. Sie haben sehr deutlich zum Ausdruck gebracht, was
Sie von ihr halten. Und noch eine Sache. Die Art und Weise,
wie Sie reden, lässt in mir den Verdacht aufkeimen, Sie wä
ren nur deswegen hier, weil ich in Kew war und mit Ihrer
Frau gesprochen habe. Aber Sie haben schon vorher versucht, mit meiner Mutter zu reden. Was hat das also zu bedeuten? Was geht hier in Wirklichkeit vor? Woher wussten
Sie, dass meine Mutter hier in diesem Hospiz liegt?«
»Versprechen Sie, dass Sie sich von meiner Familie fern
halten?« Er brüllte fast.
»Ich mache keine Versprechungen gegenüber Leuten, die
mir nicht die ganze Wahrheit sagen.«
Für einen Moment befürchtete ich, er würde genauso auf
mich losgehen wie Flora. Er ballte die Fäuste. Doch dann fiel
ihm ein, dass wir vielleicht aus einem der zahlreichen Fenster beobachtet wurden.
»Ich habe gehört, dass jemand sich nach uns erkundigt
hat«, sagte er leise und mit gesenktem Kopf. »Dachten Sie
und Ihre Mutter, ich würde es nicht erfahren?«
»Ich nehme an, Mrs Mackenzie hat es Ihnen erzählt«,
sagte ich. Ich hätte damit rechnen müssen, dass entweder
Mrs Mackenzie oder ihr Großneffe Ben sich mit den Wildes
in Verbindung setzen und sie warnen würde. Ich hätte es in
meine Pläne mit einbeziehen müssen. Ich hatte es nicht getan. Mein Fehler.
»Ich weiß nicht, was sie sich dabei gedacht hat, unsere
Adresse an eine Fremde herauszugeben!«, brummte er. »Sie
muss verrückt gewesen sein.«
»Nicht im Geringsten!«, schnappte ich. »Sie begriff, dass
es sich um einen Notfall handelte.«
Er schnaubte. »Es wurde erst zu einem Notfall, nachdem
sie Ihnen unsere Adresse verraten hatte! Ich wusste gleich,
dass nur Eva Varady hinter alledem stecken konnte.« Er sah
niedergeschlagen aus. »Ich dachte, wir würden sie nie wieder
sehen. Ich hatte es so fest gehofft. Es war ein einziger Albtraum, seit Dorothy mich angerufen hat. Ich wollte nicht,
dass meine Frau etwas davon erfährt. Sie ist eine sehr nervö
se Person und sehr empfindlich. Ich wollte es selbst regeln
und bat Dorothy, Flora gegenüber nicht ein Wort zu sagen.
Ich hoffte eigentlich, Sie würden sich zuerst schriftlich an
uns wenden. Ich habe die Post abgefangen. Ich bin jedes
Mal aufgesprungen, wenn das Telefon geläutet hat. Ich hätte
nicht gedacht, dass Sie einfach so vor unserer Haustür auftauchen. Sie haben alles ruiniert, und es ist Ihnen völlig egal!
Ihnen und Ihrer Mutter! Sie wollen einfach nicht sehen, wie
viel Schaden Sie angerichtet haben!«
Er blickte auf, und in seinen Augen stand nackter Hass.
Ich fragte mich, wie weit er zu gehen bereit gewesen war,
um seine Frau und seine Tochter zu schützen und ihnen das
Wissen vorzuenthalten, dass die Jagd nach Nicola in vollem
Gang war. Genug, um Rennie Duke zu töten?
Ich überlegte sorgfältig, bevor ich antwortete. »Ich
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