Granger Ann - Varady - 04
muss an
mehr als einem Fall gearbeitet haben, genau wie Sie.«
»Vielleicht«, sagte die Morgan. »Ich bin froh, dass Sie es
nicht vergessen haben, ehrlich. Aber das hier hat mit unserem Fall zu tun. Es mag jetzt vielleicht ein wenig schmerzhaft für Sie werden …« Morgans Tonfall verriet mir, dass es
ihr egal war. »Es mag schmerzhaft werden, aber können wir
uns für einen Moment in die Zeit zurückbegeben, als Ihre
Mutter von zu Hause weggegangen ist?«
»Nein!«, widersprach ich. »Es ist vierzehn Jahre her, und
Sie tappen offensichtlich im Dunkeln herum! Sie kommen
nicht weiter. Sie haben versucht, mich zu grillen. Nachdem
das nicht funktioniert hat, füttern Sie mich mit Kaffee und
Kuchen in der Hoffnung, dass Sie irgendwas von mir erfahren, was Ihren Ermittlungen auf die Sprünge hilft. Ich
weiß aber nichts! Meine Mutter ist einfach weggegangen
und aus unserem Leben verschwunden. Ich bin abends zu
Bett gegangen, und sie war da. Als ich am nächsten Morgen aufgestanden bin, war sie es nicht mehr. Ich war erst
sieben Jahre alt! Niemand hat mir irgendetwas gesagt, nur
dass sie weg war. Ich habe lange Zeit gedacht, sie wäre gestorben.«
»Als Sie herausfanden, dass sie nicht gestorben war, hatten Sie da Grund zu der Annahme, dass Ihr Vater oder ein
anderes Familienmitglied sich noch einmal mit ihr in Verbindung gesetzt hatte, nachdem sie fortgegangen war?«
»Falls es so war, hat Daddy nie etwas gesagt. Ich glaube
nicht, dass er sie noch einmal gesehen hat. Er war viel zu
niedergeschmettert.« Ich wollte nicht darüber reden. Es ging
die Morgan nichts an. Die Polizei meint immer, sie hätte ein
Recht, alles zu erfahren.
Inspector Morgan fuhr fort, als hätte sie meinen Protest
nicht gehört. »Also müssen Sie und Ihre Mutter sich im
Verlauf Ihrer jüngsten Besuche doch eine Menge zu erzählen gehabt haben, nicht wahr? Nach all der Zeit? Um sich
gegenseitig ein wenig besser kennen zu lernen? Zu erfahren,
wie das Leben des anderen verlaufen ist …«
»Was soll das werden?«, unterbrach ich sie unwirsch.
»Vielleicht eine Bühnenprobe zu Der König und ich ?«
»Ihre Mutter hat Dukes Agentur damit beauftragt, Sie zu
finden«, entgegnete die Morgan entschieden. »Es ist offensichtlich, dass Ihre Mutter etwas wieder gutmachen wollte.
Dass sie Ihnen die Ursache für all das Leid erklären wollte,
das sie Ihnen damals zugefügt hat.«
Ich glaubte zu erkennen, aus welcher Richtung der Wind
wehte. Sie konnten Mum nicht vernehmen, doch sie nahmen an, dass Mum mit mir gesprochen und sich alles von
der Seele geredet hatte, was sie belastete. Das Schlimme daran war – sie hatten Recht. Doch ich würde es ihnen ganz
bestimmt nicht verraten.
»Sie kann nicht lange reden.« Ich hielt Morgans Blick
stand. »Meine Besuche dauern immer nur ein paar Minuten. Länger reicht ihre Kraft nicht mehr. Einen Teil dieser
Zeit sitze ich einfach nur da und halte ihre Hand. Ich erzähle ihr von der Arbeit, die ich demnächst in einer Pizzeria
haben werde, und dergleichen. Das ist so ungefähr alles.
Warum erzählen Sie mir nicht einfach, wer diese Mrs Marks
ist, und erlösen uns beide aus dieser elenden Situation?«
»Habe ich das noch nicht gesagt?« Sie sah mich ausdruckslos an. Rings um uns herum saßen Leute und stopften sich Kuchen in die Bäuche. Tassen klapperten. Löffel
klimperten. Stimmen vermischten sich zu einer eintönigen
Kulisse aus Geräuschen. »Mrs Marks ist eine eingetragene
Tagesmutter. Sie hat im Verlauf der Jahre eine ganze Reihe
von Babys versorgt. Sie kommen und gehen. Manche bleiben länger bei ihr als andere. Mrs Marks kommt über die
Runden. Ihre Arbeit hat ihr immer Freude gemacht, und sie
kann sich an jedes einzelne Baby erinnern, das sie jemals
versorgt hat. Es scheint, dass Mrs Eva Varady vor dreizehn
Jahren – plus oder minus – ein kleines Töchterchen zu Mrs
Marks’ Krippe gebracht hat, noch keinen Monat alt …«
»Was?«, rief ich so laut, dass mehrere Köpfe in unsere
Richtung ruckten. Es war mir egal. Also hatten Flora und
Jerry Wilde gelogen, alle beide! Meine Mutter war nicht verrückt, weder damals noch heute! Sie hatte das Krankenhaus
mit einem lebenden Baby verlassen, und das Baby der Wildes war gestorben, genau so, wie Mutter es mir erzählt hatte.
Ich fühlte mich erleichtert, ja geradezu in Hochstimmung,
keine Frage. Ich war nicht völlig umsonst dort draußen in
Kew gewesen. Ich hatte nicht auf das bloße Wort einer traurigen, halluzinierenden
Weitere Kostenlose Bücher