Granger Ann - Varady - 04
…«
Ich wäre fast aus dem Stuhl gefallen, so überrascht war
ich. Ich konnte meine Reaktion nicht kontrollieren.
»Das sagt Ihnen was, habe ich Recht?«, bemerkte Mrs
Marks trocken. »Dann erzähle ich Ihnen wohl besser auch
den Rest. Ich habe der Polizei nichts davon gesagt, und das
werde ich auch nicht. Ich wäre Ihnen sehr dankbar, wenn
Sie es ebenfalls für sich behalten würden, aber ich denke,
das werden Sie. Wenn Sie nach diesem Kind suchen, dann
tun Sie es unauffällig, habe ich Recht? Ich spüre es.«
Ich gestand, dass es so war.
»Die Leute, die durch diese Tür kommen …« Sie deutete
zur Vordertür des Hauses. »Sie würden nicht glauben, was
für Probleme manche von ihnen haben. Ich habe alles gesehen. Trotzdem, es ist ein gutes kleines Geschäft, wenn man
Kinder mag. Nun ja, meine Tochter Linda jedenfalls suchte
eine Arbeit, die sie von zu Hause aus machen konnte, und
so gründete sie selbst eine Krippe, drüben in Kew. Sie wusste ja, wie es geht. Sie hat mir häufig geholfen. Und ein paar
Wochen, nachdem Eva Varady ihr Baby bei mir abgeholt
hatte, hatte ich einen freien Tag und fuhr nach Kew, um zu
sehen, wie Linda mit ihrer Krippe vorankam. Sie hatte eben
erst angefangen, und es waren erst ein Kleinkind und ein
Baby angemeldet. Und was glauben Sie, als ich dieses Baby
sah, dachte ich, mir wird der Boden unter den Füßen weggezogen! Ich war absolut sicher, dass dieses Baby das von
Eva Varady war. Ich fragte Linda, wer dieses Kind gebracht
hatte. Sie sagte, eine Frau namens Wilde. Das Kind war nur
an zwei Tagen in der Woche vormittags da, weil die Wildes
ein altes Haus renovierten, das sie eben gekauft hatten. Ich
sagte zu meiner Tochter, dass dieses Baby einem anderen
zum Verwechseln ähnelte, das vorher in meiner Krippe gewesen wäre. Doch Linda lachte nur und meinte, in diesem
Alter sähen alle Babys gleich aus.«
Mrs Marks zögerte. »Nun ja, sie mag so denken, aber ich
habe das nie geglaubt. Trotzdem war ich in einer misslichen
Lage, wie man sagen könnte. Ich wollte Linda keinen Ärger
machen, nicht jetzt, nachdem sie gerade erst angefangen
hatte. Der Ruf ist extrem wichtig, wenn man eine Tagesstätte betreibt. Irgendwelcher Ärger, und die Leute machen einen großen Bogen um einen. Ich hatte nichts außer meinem
eigenen Gefühl. Angenommen, ich hätte etwas gesagt, mich
an die Behörden gewandt, und sie hätten die Angelegenheit
untersucht, und alles wäre in Ordnung gewesen? Was dann?
Ich hätte Lindas Geschäft ruiniert, und wo wäre sie dann?
Außerdem, je länger ich darüber nachdachte, desto mehr
kam ich zu dem Schluss, dass es mich nichts anging, wenn
Eva ihr Baby jemand anderem gegeben hatte. Es war eine
Familienangelegenheit.«
»Wie meinen Sie das?«, fragte ich verwirrt.
Sie sah mich streng an. »So wurde es in den alten Tagen
immer gemacht, Liebes, als ich selbst noch jung war. Wenn
ein Mädchen ein uneheliches Baby bekam, wurde es so hingestellt, als gehörte es einer verheirateten Schwester oder
vielleicht sogar der Mutter des Mädchens. Sie wären überrascht, wie viele Frauen plötzlich und in fortgeschrittenem
Alter damals noch Babys bekamen! Niemand stellte irgendwelche Fragen. Wir alle wussten es, und wir verstanden es.
Glauben Sie mir …« Mrs Marks lächelte trocken und winkte
in Richtung der Straße. »Glauben Sie mir, da draußen laufen eine Menge Leute rum, die meisten von ihnen heutzutage im mittleren Alter, die ihre Großmutter als Mutter und
ihre leibliche Mutter als Schwester oder Tante anreden.«
»Aber irgendjemand muss es immer wissen«, erwiderte ich.
»Der Rest der Familie beispielsweise. Oder die Nachbarn.«
»Vielleicht. Aber sie sagen nichts, das ist der entscheidende Punkt. Die Familie wollte ihren guten Ruf schützen. Die
Nachbarn wollten dem Ruf des Mädchens nicht schaden
und ihre Chance auf eine vorteilhafte Ehe mit einem guten
Jungen eines Tages nicht zunichte machen. Wer weiß, vielleicht hatten sie selbst das eine oder andere Baby in ihrer
Familie. Wer hatte schon Lust, in ein Wespennest zu stechen?«
»Sicher, wer?«, sagte ich trübselig. Genau das hatte ich getan, als ich der Bitte meiner Mutter gefolgt war.
»Ich denke, heutzutage ist das alles anders«, fuhr Mrs
Marks fort. »Die Gesellschaft ist viel toleranter geworden.
Die Mädchen behalten ihre Babys, und niemand denkt deswegen schlecht über sie. Aber damals glaubte ich, dass Eva
so etwas getan hätte. Dass sie ihr Baby einer verheirateten
Schwester gegeben
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