Granger Ann - Varady - 05
zu suchen. Die Familie wohnt draußen auf dem Land in irgendeinem winzigen Dorf. Als sie über Ions Tod informiert wurden, bekamen sie es mit der Angst zu tun und räumten ein,
dass beide Kinder nach England gehen wollten. Der ältere,
Alexander, ist vor über einem Jahr weggegangen. Der jüngere, Ion, vor einem halben Jahr. Doch es gibt keine Unterlagen und keine Spuren. Ein Jahr ist eine lange Zeit, wenn
man versucht, jemanden aufzuspüren, der alles unternommen hat, um seine Spuren zu verwischen. Es ist mehr als
sechs Monate her, dass die Familie von ihm gehört hat: ein
einziger Brief, mit Schreibmaschine geschrieben, der einzige, den sie je bekommen haben, und mit herzlich wenig
Einzelheiten, nur, dass er angekommen wäre und sie seinen
Bruder nachschicken sollten, er würde ihn abholen. Es gab
keinen Absender. Wir wissen nicht, wo er gewohnt und wo
er gearbeitet hat. Wir kennen keine Namen von irgendwelchen Bekannten oder anderen illegalen Einwanderern, und
wir wissen nicht, welche Pläne er hatte. Es gibt keine Aufzeichnungen von seiner Einreise nach Großbritannien, genauso wenig wie von Ion. Vom Standpunkt der Behörden
aus ist es so, als würden die beiden Jungen überhaupt nicht
existieren, und genau so wollten sie es auch haben. Wir wissen nur, dass Ion hier war, weil er vor diese U-Bahn gestürzt
ist. Es ist, als würden wir Schatten jagen, Fran. Soweit es uns
betrifft, könnte Alexander Popescu das Land inzwischen
längst wieder verlassen und sich zu neuen Jagdgründen aufgemacht haben. Auf der anderen Seite ist er vielleicht nie
hier angekommen. Die Familie hat seinen Brief verbrannt,
aus Angst, er könnte in offizielle Hände fallen und dazu führen, dass man ihn findet. Also können wir nicht einmal überprüfen, ob er echt war. Vielleicht ist Alexander nie in England
angekommen. Vielleicht ist ihm auf dem Weg hierher etwas
zugestoßen, und die Schleuser haben den Brief an die Eltern
geschickt, damit es so aussieht, als wäre er hier. Schließlich
wollten sie verhindern, dass Nachrichten wie diese zu Hause
ankamen. Es wäre schlecht gewesen für zukünftige Geschäfte. Falls es Sie interessiert, was ich denke – ich denke,
Alexander Popescu war nie hier. Das ist es, was Ion nicht herausfinden durfte, und als klar wurde, dass er die Jagd nach
seinem Bruder nicht aufgeben würde, mussten die Schleuser
etwas unternehmen.«
»Also werden Sie gar nichts tun!«, giftete ich wütend.
»Oh, wir haben eine Akte angelegt. Leider ist sie erbärmlich dünn. Was die Schleuserbande angeht, so sind wir ihr
auf der Spur. Die Polizei in ganz Europa jagt sie.«
»Und wegen Alexander werden Sie nichts weiter unternehmen? Das ist so, als würden Sie überhaupt nichts tun,
jedenfalls meiner Meinung nach.« Ich wandte mich von ihm
ab und stapfte davon. Parry folgte mir.
»Wissen Sie was, Fran?«, fragte er, nachdem er eine Weile
schweigend neben mir hergetrottet war und schätzte, dass ich
mich weit genug beruhigt hatte, um ihm zuzuhören. »Sie
sollten sich wirklich abgewöhnen, immer den guten Samariter zu spielen. Überlassen Sie solche Dinge der Polizei, okay?«
»Die Polizei bringt nicht die Resultate, die ich haben will!«,
schnappte ich.
»Wir kriegen nicht immer die Resultate, die wir selbst
haben wollen. Um ehrlich zu sein, die kriegen wir sogar nur
verdammt selten. Aber wir tun trotzdem unser Bestes.« Er
wartete auf eine Antwort von mir, doch es gab nichts, was
ich dem hinzufügen wollte. Schließlich fuhr er fort: »Sie er
innern sich doch an Sergeant Cole, oder?«
Ich schaute überrascht auf. »Ja, ich erinnere mich an ihn.«
»Er wurde aus der Verbrechensabteilung geworfen und
zum Constable degradiert. Er macht jetzt wieder in Uniform
seinen Dienst, bei der Verkehrsabteilung.«
Parry erklärte nicht, warum, doch ich konnte es mir denken.
»Warum wurde er nicht ganz entlassen?«, fragte ich. »So
ein verdammtes Plappermaul.«
»Die Untersuchungen gegen Cole sind noch im Gange.
Aber von mir haben Sie das nicht«, sagte Parry. »Darauf
sind Sie von ganz allein gekommen.«
»Ja, sicher, ich spiele nun mal gerne Detektiv, nicht wahr?«,
entgegnete ich säuerlich.
Parry zögerte. »Sie halten den Mund, okay, Fran? Sonst
kriege ich nämlich Ärger, weil ich den Mund nicht gehalten
und vertrauliche Informationen an Sie weitergegeben habe.«
»Keine Sorge. Solange Cole nicht immer noch mit den
falschen Leuten schwatzt. Ich will keinen Besuch von irgendwelchen Typen mit Skimasken und
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