Grant County 03 - Dreh dich nicht um
können einander sogar sehr viel helfen.«
»Ich wüsste nicht wie.«
»Du weißt, wie es ist, immer nur der Zweite zu sein«, erklärte er. »Sibyl hat es nie ausgesprochen, aber ich weiß, dass euer Onkel sie bevorzugt hat.«
Lena antwortete nicht, doch im Grunde ihres Herzens dachte sie, dass er Recht hatte.
»Andy war immer Brians Liebling. Er war der Grund, warum Brian uns überhaupt verlassen hat. Andy war der Grund, dass er mich meiner Mutter und Kyle und Buddy und Jack und Troy und jedem anderen Arschloch ausgeliefert hat, die sich einen Spaß daraus machten, im Vollrausch den kleinen, schwulen Sohn von Esther Carter windelweich zu prügeln.«
»Hast du ihn umgebracht?«, fragte Lena. »Hast du Andy umgebracht?«
»Andy hat mich erpresst. Er wusste, dass Brian nicht von allein auf die Idee gekommen war, dass er das Forschungsprojekt nicht selbst in die Wege geleitet hatte.«
»Welche Idee?«
»Sibyls Idee. Sie wollte gerade ihre Forschungsergebnisse vorstellen, als sie ermordet wurde.«
Lena schielte zu den Kisten hinüber. »Und das sind ihre Aufzeichnungen?«
»Ihre Ergebnisse«, erläuterte er. »Der einzige Beweis dafür, dass es eigentlich ihre Idee war.« Plötzlich sah er traurig aus. »Sie war so genial, Lena. Ich wünschte, du könntest verstehen, wie genial sie war.«
Lena konnte ihren Ärger nicht mehr unterdrücken. »Du hast ihre Idee gestohlen!«
»Ich habe in jeder Phase mit ihr zusammengearbeitet«, verteidigte er sich. »Und als sie fort war, bin ich der Einzige gewesen, der davon wusste. Ich war der Einzige, der dafür sorgen konnte, dass ihre Arbeit fortgesetzt wurde.«
»Wie konntest du ihr das antun?«, fragte Lena. Sie wusste, dass Richard Sibyl wirklich gemocht hatte. »Wie konntest du sie um ihren verdienten Lohn betrügen?«
»Ich war müde, Lena. Du müsstest es am besten verstehen, dass ich die Nase voll davon hatte, immer nur der Zweite zu sein. Ich war es müde, Brian zuzusehen, wie er alles an Andy verschwendete, während ich danebenstand, bereit, alles für ihn zu tun, um jeden Preis.« Er schlug sich mit der Faust in die offene Hand. »Ich war der gute Sohn. Ich war der, der Sibyls Aufzeichnungen für ihn übersetzt hat. Ich war derjenige, der sie ihm gebracht hat, damit wir zusammenarbeiten und gemeinsam etwas Großes schaffen konnten – « Er unterbrach sich, presste die Lippen zusammen, versuchte sich zu mäßigen. »Andy hat sich einen Scheißdreck um ihn gekümmert. Das Einzige, woran ihm was lag, war ein neues Auto oder der CD-Player oder Videospiele. Brian war für ihn nichts weiter als ein besserer Geldautomat.« Er versuchte, sich zu rechtfertigen. »Er hat uns erpresst, Lena. Uns beide. Ja, ich habe ihn umgebracht. Ich habe ihn für meinen Vater umgebracht.«
Lena konnte nur fragen: »Wie?«
»Andy wusste, dass die Ideen nicht von Brian stammen konnten.« Richard zeigte auf die Kartons. »Brian ist nicht gerade ein Visionär.«
»Das wusste doch jeder«, sagte Lena. Sie wollte alles wissen. »Was hatte Andy in der Hand?«
Richard schien beeindruckt, dass sie ihm folgen konnte.
»Die erste Regel wissenschaftlicher Forschung lautet«, sagte er, »schreib alles auf.«
»Er hat sich Aufzeichnungen gemacht?«
»Protokolle«, sagte Richard. »Er hat jedes Treffen, jeden Anruf, jede blöde Idee, die er dann doch nie entwickelte, protokolliert.«
»Und Andy hat die Protokolle gefunden?«
»Nicht nur die Protokolle – alle Aufzeichnungen, alle Entwürfe, alle Daten. Die Transkriptionen von Sibyls früheren Forschungsprojekten.« Richard hielt wütend inne. »Brian hat alles in seinen gottverdammten Protokollen aufgeschrieben, und die hat er einfach rumliegen lassen. Andy hat sie gefunden und natürlich war seine erste Reaktion: ›Wie kann ich das zu Kohle machen?‹«
»Du hast ihn also dazu gebracht, sich auf der Brücke mit dir zu treffen.«
»Schlau«, sagte er. »Ja. Ich habe ihm gesagt, ich würde ihm Geld geben. Aber ich wusste, dass er nie damit aufhören würde. Er würde einfach immer mehr und mehr Geld verlangen, und wer weiß, wem er am Ende doch davon erzählt hätte?« Richard schnaubte verächtlich. »Andy ging es immer nur um sich selbst, um sich und seine Drogen. Man konnte ihm nicht vertrauen. Er konnte immer nur nehmen, nehmen, nehmen. Alles, wofür ich gearbeitet hatte, alle Opfer, die ich erbracht hatte, um meinem Vater zu helfen, ihm ein Projekt zu verschaffen, auf das er stolz sein konnte – auf das wir stolz sein konnten –,
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