Grant County 03 - Dreh dich nicht um
passiert?«, fragte sie. »Wenn Tessa durchkommt, dann darfst du sonntags wieder zum Essen kommen, wenn nicht, dann nicht?«
»Sie sind wütend. Das passiert eben in einer Katastrophensituation. Sie fühlen sich so hilflos und richten ihre Wut gegen den nächstbesten Menschen.«
»Ich bin die Nächstbeste.«
»Ja, also …«
Einen Moment lang war Sara sprachlos. Schließlich fragte sie: »Sind sie auch auf mich wütend?« Sie wusste selbst, dass ihre Eltern allen Grund dazu hatten. Sara hätte sich um Tessa kümmern müssen. So war es immer gewesen.
»Sie brauchen einfach Zeit, Sara. Ich will sie nicht noch mehr aufregen.«
Auch wenn er sie nicht sehen konnte, nickte sie.
»Ich will bei dir sein. Ich will für dich und für Tessa da sein.« Sie hörte die Trauer in seinen Worten und wusste, wie schwer es auch für ihn war. Und doch fühlte sie sich durch seine Abwesenheit verraten. Jeffrey war zu oft nicht da gewesen, wenn sie ihn am meisten gebraucht hatte. »Sara?«
»In Ordnung«, sagte sie. »Du hast Recht.«
»Ich sehe nach dem Rechten und füttere die Hunde, okay? Ich kümmere mich ums Haus.« Er zögerte wieder. »Cathy wollte auf dem Weg nach Atlanta bei dir vorbeifahren, um dir ein paar Kleider mitzubringen.«
»Ich brauche keine Kleider.« Wieder spürte Sara die Flut ihrer Emotionen. Sie konnte nur flüstern: »Ich brauche dich.«
Er klang zärtlich. »Ich weiß, Baby.«
Sara fühlte die Tränen kommen. Bis jetzt hatte sie sich das Weinen untersagt. Es war keine Zeit dafür gewesen – mit Tessa im Helikopter und dann in der Notaufnahme, im Wartezimmer. Selbst im Waschraum, als sich Sara den OP-Anzug überzog, den ihr eine Schwester herausgesucht hatte, gab es nicht die Privatsphäre, die sie für sich und ihre Trauer so dringend gebraucht hätte.
In diesem Augenblick meldete sich die Krankenschwester.
»Ms. Linton? Wir brauchen diese Leitung wirklich.«
»Tut mir leid«, sagte Sara, und dann zu Jeffrey: »Ich muss die Leitung freimachen.«
»Kannst du mich von einem anderen Telefon aus anrufen?«
»Ich kann hier nicht weg«, sagte Sara und beobachtete ein älteres Pärchen, das den Gang heraufkam. Der Mann ging leicht gebeugt, die Frau hatte ihn untergehakt, und beide versuchten, die Schilder an den Türen zu entziffern.
Jeffrey sagte: »Da ist doch dieser McDonald’s auf der anderen Straßenseite, weißt du? Neben dem Parkhaus?«
»Keine Ahnung.« Sara war seit Jahren nicht mehr in diesem Teil von Atlanta gewesen. »Wenn du meinst.«
»Ich glaube, da ist ein McDonald’s. Dort treffen wir uns morgen früh um sechs, okay?«
»Nein«, sagte sie, während sie das ältere Pärchen beobachtete. »Kümmer dich lieber um die Hunde.«
»Bist du dir sicher?«
Sara beobachte immer noch den Mann und die Frau. Erschrocken stellte sie fest, dass sie ihre eigenen Eltern nicht erkannt hatte.
Jeffrey sagte: »Sara?«
»Ich rufe dich später an«, sagte sie. »Sie sind da. Ich leg auf.«
Sara lehnte sich über den Tresen, um den Hörer auf die Gabel zurückzulegen. Sie war verwirrt und hatte Angst. Sie presste die Arme vor den Bauch, lief den Flur hinunter und wartete darauf, dass ihre Eltern sich wieder in ihre Eltern verwandelten. »Mama?«, sagte Sara.
Cathy erblickte ihre Tochter. Sie nahm sie nicht in den Arm, wie Sara erwartet, wie sie gehofft hatte. Mit einem Arm hielt sie weiterhin Eddie, als müsste sie ihn stützen, der andere Arm hing schlaff herunter. »Wo ist sie?«
»Sie ist immer noch im OP.« Sara wollte ihrer Mutter in die Arme fallen, doch sie las in Cathys Gesicht, dass das nicht angebracht war. »Mama – «
»Was ist passiert?«
Sara hatte einen Kloß im Hals. Cathy klang nicht einmal wie ihre Mutter. Ihre Stimme war tonlos und ihr Mund zu einer dünnen Linie geschrumpft. Auf dem Gang herrschte ein Kommen und Gehen, und Sara führte sie an die Seite, damit sie reden konnten. Sara begann: »Sie wollte mitkommen – «
»Und du hast sie mitgenommen«, sagte Eddie, der Vorwurf in seiner Stimme traf sie mitten ins Herz. »Wie um Himmels willen konntest du das tun?«
Sara biss sich auf die Lippe. »Ich habe nicht gedacht – «
Wieder schnitt er ihr das Wort ab. »Nein, gedacht hast du nicht.«
»Eddie«, sagte Cathy, um ihm zu bedeuten, dass jetzt nicht die rechte Zeit dafür war.
Sara schwieg einen Moment verzweifelt. »Sie ist im OP. Wahrscheinlich dauert es noch ein, zwei Stunden.«
Alle drei blickten auf, als sich wieder die Türen öffneten, doch es war nur eine
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