Grant County 03 - Dreh dich nicht um
neuen Spuren auftauchten, würde Jeffrey bei Ellen Schaffer im Wohnheim vorbeischauen und sie fragen, ob sie Andy Rosen auf dem Foto wieder erkannte. Die junge Frau hatte die Leiche nur von hinten gesehen, doch dank der Buschtrommeln auf dem Campus wüsste Ellen Schaffer inzwischen wahrscheinlich mehr über Andy Rosen als sämtliche Polizisten zusammen.
Jeffrey beschloss, sich weiter im Haus nützlich zu machen. Auf dem Weg ins Schlafzimmer sammelte er Saras Strümpfe und Schuhe auf, dann einen Rock und einen Slip, die auf dem Flur verteilt waren. Es sah ganz so aus, als hätte sie sich auf dem Weg durchs Haus die Kleider vom Leib gerissen. Jeffrey musste lächeln. Er dachte daran, wie ihm diese Angewohnheit während ihres Zusammenlebens auf die Nerven gegangen war.
Billy und Bob lagen schon wieder auf dem Bett, als er Saras Kleider über den Stuhl am Fenster legte. Jeffrey setzte sich zu ihnen und streichelte sie abwechselnd. Auf Saras Nachttisch standen zwei gerahmte Fotos, die er sich näher ansah. Auf dem ersten Foto waren Tessa und Sara zu sehen, beide mit Angelruten in der Hand am See. Tessa trug einen alten Anglerhut, den Jeffrey als Eddies wieder erkannte. Das zweite Foto war von Tessas Schulabschluss. Eddie, Cathy, Tessa und Sara standen Arm in Arm da und strahlten um die Wette.
Sara, die ihren Vater um ein paar Zentimeter überragte, sah mit dem kastanienbraunem Haar und der blassen Haut immer aus wie ein Nachbarskind, das sich auf die Familienfotos geschmuggelt hatte, doch wenn sie lächelte, gab es keinen Zweifel – das Lächeln war ihrem Vater wie aus dem Gesicht geschnitten. Tessa hatte die blonden Haare und die blauen Augen ihrer Mutter. Alle drei Frauen hatten zumindest die gleichen mandelförmigen Augen. Sara war die fraulichste von ihnen, und Jeffrey liebte ihre Rundungen, die genau an den richtigen Stellen saßen.
Er stellte das Foto wieder hin und bemerkte den Abdruck im Staub, wo einmal ein weiterer Rahmen gestanden hatte. Er sah auf dem Boden nach, dann zog er die Schublade auf und fand unter ein paar Zeitschriften einen Silberrahmen. Das Foto kannte er gut; ein Spaziergänger hatte es von Sara und ihm am Strand während ihrer Flitterwochen gemacht.
Mit einem Zipfel des Bettlakens wischte er den Staub ab, bevor er das Bild wieder in die Schublade legte.
Brocks Bestattungsinstitut befand sich in einer großen viktorianischen Villa, die genauso aussah wie das Haus, von dem Jeffrey als Kind geträumt hatte. Damals in Sylacauga, Alabama, hatten er und seine Mutter – und ab und an auch sein Vater – in einer kleinen Zwei-Zimmer-Bude gehaust. Seine Mutter war kein glücklicher Mensch gewesen, und so weit er sich erinnern konnte, hatte es weder Bilder noch Teppiche noch sonst irgendetwas gegeben, das dem Häuschen einen Hauch von Gemütlichkeit verliehen hätte. Es war, als hätte May Tolliver mit aller Kraft dagegen gekämpft, Wurzeln zu schlagen. Die schlecht isolierten Fenster klirrten, wenn man die Haustür schloss, und der Küchenfußboden neigte sich so gefährlich, dass sich alle Krümel an der einen Fußbodenleiste sammelten. In besonders kalten Winternächten verkroch sich Jeffrey mit seinem Schlafsack im Wandschrank unter der Treppe, dem wärmsten Raum im ganzen Haus.
Jeffrey war schon zu lange Cop, als dass er sich einbildete, eine miese Kindheit entschuldige irgendetwas, doch er verstand, warum manche Leute sie als Rechtfertigung heranzogen. Jimmy Tolliver war ein gewalttätiger Alkoholiker gewesen, der Jeffrey jedes Mal verprügelt hatte, wenn er ihn in die Finger bekam. Meistens war das der Fall, wenn Jeffrey sich zwischen seine Mutter und Jimmys Fäuste warf. Doch das war Vergangenheit, und Jeffrey hatte einen langen Weg hinter sich. Jeder hatte sein Päckchen zu tragen, so war das eben. Daran, wie man damit fertig wurde, zeigte sich, was für ein Mensch man war. Vielleicht hatte Jeffrey aus diesem Grund solche Schwierigkeiten mit Lena. Er wollte einen anderen Menschen in ihr sehen als den, der sie ganz offensichtlich war.
Dan Brock stolperte aus der Haustür, dann blieb er stehen, als seine Mutter noch einmal nach ihm rief. Sie reichte ihm zwei Styroporbecher, und Jeffrey hoffte inständig, dass einer davon für ihn gedacht war. Penny Brocks Kaffee konnte Tote aufwecken.
Jeffrey versuchte, das Grinsen zu verbergen, als er zusah, wie sich Mutter und Sohn verabschiedeten. Brock lehnte sich zu Mama hinunter und gab ihr einen Kuss auf die Wange, und sie ergriff die
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