Grant County 03 - Dreh dich nicht um
angehaltenem Atem die Mündung. »Sie hatte einen Skeet-Choke drauf«, bemerkte er. Der Choke verengte die Mündung, sodass sich eine falsche Patrone noch eher verkeilen konnte.
Jeffrey richtete sich auf. »Das ergibt keinen Sinn.«
Frank sagte: »Sieh dir die Wand an.«
Jeffrey wich einer Blutlache aus und betrachtete die Wand hinter der Couch von nahem. Der Schuss hatte den Großteil des Schädels fortgerissen und Knochensplitter und Hirnmasse mit hoher Geschwindigkeit gegen die Wand geschleudert.
Jeffrey kniff die Augen zusammen und versuchte in dem Brei von Blut und Gewebe auf der weißen Wand irgendetwas zu erkennen. Die Kugel hatte in die Wand ein Loch zum Nachbarzimmer geschlagen.
»Habt ihr drüben was gefunden?«, fragte er und schickte ein Dankgebet zum Himmel, dass niemand dort gewesen war, als der Schuss losging.
»Das meinte ich nicht«, sagte Frank. »Siehst du das da an der Wand?«
»Warte mal.« Jeffrey starrte noch einmal auf die Flecken dort, bis er merkte, dass jemand zurückstarrte.
Ellen Schaffers Augapfel hing dort im Putz.
»Mein Gott«, stöhnte Jeffrey und wandte sich ab. Er ging wieder zum Fenster. Im Zimmer roch es wie im Schlachterladen.
Jeffrey warf noch einen Blick auf das Mädchen, diesmal aus der Entfernung. Er hätte früher mit ihr reden sollen. Wäre er zuerst hierher gekommen, dann wäre Ellen Schaffer vielleicht jetzt noch am Leben. Er fragte sich, was er sonst noch übersehen hatte. Die Abweichung der Kaliber war verdächtig, doch jedem konnte ein Fehler passieren, vor allem jemandem, der die Sauerei hinterher nicht aufwischen musste. Andererseits konnte das Ganze auch inszeniert sein. Lief hier etwa noch jemand mit einer Zielscheibe auf der Stirn herum?
Jeffrey fragte: »Wann wurde sie gefunden?«
»So vor einer halben Stunde«, sagte Frank und tupfte sich mit einem Taschentuch die Stirn ab. »Sie haben nichts angefasst. Sie haben die Tür zugemacht und uns angerufen.«
»Mein Gott«, wiederholte Jeffrey und holte ebenfalls ein Taschentuch heraus. Er sah noch einmal zum Tisch.
»Da ist Matt«, sagte Frank. Draußen hinter dem Haus lief Matt vorbei, die Hände in den Hosentaschen, und starrte auf den Boden auf der Suche nach irgendetwas Ungewöhnlichem. An einer Stelle blieb er stehen und kniete sich hin, um etwas genauer zu betrachten.
»Was ist?«, rief Jeffrey. Franks Telefon klingelte.
Matt rief zurück. »Sieht aus wie ein Pfeil.«
»Ein was?« Jeffrey war ungeduldig.
»Ein Pfeil«, rief Jeffrey. »Jemand hat einen Pfeil in die Erde gemalt.«
»Chief«, sagte Frank und hielt sich das Telefon gegen die Brust.
Jeffrey rief Matt zu: »Bist du sicher?«
»Schau es dir selbst an«, antwortete Matt. »So sieht es jedenfalls aus.«
Frank wiederholte: »Chief.«
»Was ist, Frank?«, knurrte Jeffrey.
»Wir haben einen Fingerabdruck in Andy Rosens Wohnung gefunden, den unser Computer kennt.«
»Und?«, fragte Jeffrey.
Frank schüttelte den Kopf. Er sah zu Boden. Dann räusperte er sich. »Du willst es gar nicht wissen.«
SECHS
L ena lag auf dem Rücken und starrte an die Decke. Sie versuchte, gleichmäßig zu atmen und sich zu entspannen, so wie es Eileen, die Yogalehrerin, erklärt hatte. Die Yogastellungen konnte Lena länger als alle anderen im Kurs halten, doch wenn es zur Entspannungsphase kam, war sie eine echte Niete. Die Vorstellung »loszulassen« ging gegen Lenas persönliche Religion – sie musste in jedem Moment ihres Lebens die Kontrolle behalten, vor allem wenn es um ihren Körper ging.
Während der ersten Therapiestunde hatte Jill Rosen Lena geraten, mit Yoga anzufangen, um entspannen zu lernen und besser zu schlafen. Jill hatte Lena in der kurzen Zeit eine Menge Ratschläge gegeben, doch das mit dem Yoga war das Einzige, das Lena befolgte. Nach der Vergewaltigung litt Lena vor allem unter dem schrecklichen Gefühl, ihr Körper würde nicht mehr ihr selbst gehören. Schon als Kind hatte sie immer viel Sport getrieben, und ihr Körper war das Nichtstun und das Selbstmitleid nicht gewohnt. Mit den Übungen war wieder Hoffnung in ihr aufgekeimt. Sie konnte zusehen, wie sich ihr Bizeps und ihre Waden strafften. Vielleicht würde sie auch zu ihrem Selbst zurückfinden können. Doch dann kam die Entspannungsphase, und Lena fühlte sich wie im Matheunterricht in der Schule: Damals war sie gnadenlos durchgefallen.
Jetzt schloss sie die Augen und konzentrierte sich auf ihr Kreuz beim Versuch, die Spannung zu lösen. Vor lauter Anstrengung, sich zu
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