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Grant County 03 - Dreh dich nicht um

Grant County 03 - Dreh dich nicht um

Titel: Grant County 03 - Dreh dich nicht um Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karin Slaughter
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lief auf das Haus der Studentenvereinigung zu. Unterwegs las er eins der Plakate. Oben war ein unscharfes Schwarzweißfoto von Ellen Schaffer, daneben ein mindestens ebenso unscharfes von Andy Rosen zu sehen. Darunter stand »Kerzenwache« mit Angaben von Ort und Zeit und einer Telefonnummer für Selbstmordgefährdete, die von der psychologischen Beratungsstelle eigens eingerichtet worden war.
    »Glauben Sie, das bringt etwas?«
    Jeffrey erschrak über Jill Rosens plötzliches Auftauchen.
    »Dr. Rosen – «
    »Jill«, korrigierte sie ihn. »Tut mir leid, dass ich Sie erschreckt habe.«
    »Schon gut«, sagte er. Sie sah schlimmer aus als am Tag zuvor. Sie war furchtbar blass, und ihre Augen waren vom Weinen gerötet und geschwollen. Sie trug einen weißen, langärmligen Pullover mit zugezogenem Reißverschlusskragen. Während sie mit Jeffrey sprach, hielt sie sich mit einer Hand den Kragen zu, als wäre ihr kalt.
    »Ich wollte gerade mit Ihrem Mann sprechen«, sagte Jeffrey. Er sah die Chance schwinden, mit Keller unter vier Augen zu reden zu können.
    »Er müsste gleich da sein.« Sie hielt ein Schlüsselbund hoch. »Der Ersatzschlüssel«, erklärte sie. »Wir wollten uns hier treffen. Ich musste mal raus.«
    »Ich war überrascht, als ich hörte, dass er arbeitet.«
    »Die Arbeit hilft ihm.« Sie lächelte schwach. »Man kann sich gut in der Arbeit verkriechen, wenn die Welt um einen herum zusammenbricht.«
    Jeffrey wusste genau, was sie meinte. Nach der Scheidung hatte er sich auch in Arbeit gestürzt. Hätte er nicht jeden Tag zu tun gehabt, wäre er wohl verrückt geworden.
    »Hier«, sagte er und zeigte auf eine Bank. »Wie geht es Ihnen?«
    Sie atmete langsam aus, während sie sich setzte. »Ich weiß nicht, was ich darauf antworten soll.«
    »Wahrscheinlich war das eine dumme Frage.«
    »Nein«, versicherte sie. »Ich frage mich das selbst. ›Wie geht es mir?‹ Ich sage es Ihnen, wenn ich eine Antwort bekomme.«
    Jeffrey setzte sich neben sie und ließ den Blick über den Platz schweifen. Ein paar Studenten saßen mit Decken auf der Wiese und aßen Sandwiches aus braunen Papiertüten.
    Auch Jill Rosen sah den Studenten zu. Sie nagte am Zipfel ihres Kragens. Jeffrey konnte an der ausgefransten Naht sehen, dass es eine Angewohntheit war.
    Sie sagte: »Ich glaube, ich werde meinen Mann verlassen.«
    Ohne etwas zu sagen, sah Jeffrey sie an. Er merkte, dass die Worte sie Mühe gekostet hatten.
    »Er will fortziehen. Weg von Grant. Noch einmal von vorn anfangen. Ich kann nicht noch einmal von vorn anfangen. Ich kann einfach nicht.« Sie sah zu Boden.
    »Man kann verstehen, dass er weg will.« Er wollte, dass sie weiter redete.
    Jill Rosen nickte in Richtung Campus. »Ich bin seit fast zwanzig Jahren hier. Hier haben wir unser Leben gelebt, hier sind wir geworden, was wir sind. Mit der Beratungsstelle habe ich etwas aufgebaut.«
    Jeffrey ließ ein bisschen Zeit verstreichen. Als sie nichts hinzufügte, fragte er: »Hat er gesagt, warum er fortziehen möchte?«
    Sie schüttelte den Kopf, jedoch nicht, weil sie es nicht wusste. In ihrer Stimme war eine fast unerträgliche Traurigkeit, als gestände sie eine Niederlage ein. »So reagiert er auf alles. Er ist so ein polternder Macho – doch beim ersten Anzeichen von Schwierigkeiten rennt er davon, so schnell er kann.«
    »Klingt, als wäre das nicht das erste Mal.«
    »Nein«, gab sie zu.
    »Wovor läuft er davon?«
    »Vor allem«, sagte sie ohne weitere Erklärung. »In meinem Beruf geht es darum, anderen zu helfen, sich mit ihrer Geschichte zu beschäftigen, doch meinem eigenen Ehemann kann ich nicht dabei helfen, sich den Dämonen der Vergangenheit zu stellen.« Dann sagte sie ruhiger: »Ich kann nicht mal mir selbst helfen.«
    »Was für Dämonen verfolgen ihn denn?«
    »Dieselben wie mich, schätze ich. Hinter jeder Ecke erwarte ich Andy. Zu Hause höre ich jemanden an der Tür und schaue aus dem Fenster und denke, Andy geht zu seiner Wohnung hinauf. Für Brian muss es noch schlimmer sein, im Labor. Ich weiß, dass es schlimmer für ihn ist. Und dabei muss er seine Fristen einhalten. Es geht um ungeheure Summen. Ich verstehe es ja.«
    Sie wurde lauter, und Jeffrey spürte den Ärger, der schon lange in ihr zu gären schien.
    Er fragte: »Hat es was mit der Affäre zu tun?«
    »Mit welcher Affäre?« Ihre Überraschung schien echt.
    »Ich hab so ein Gerücht gehört«, erklärte Jeffrey. In diesem Moment hätte er Richard Carter am liebsten eine geknallt.

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