Grant County 03 - Dreh dich nicht um
Pickup. Saß im Pick-up und sah zu, wie ein Mädchen von seinen Freunden vergewaltigt wird. Vielleicht holte er sich einen runter, als sie geschlagen wurde, als sie hilflos auf dem Rücken lag. Er hätte sie retten können, aber er tat es nicht.«
Sie fing wieder an, an der Narbe herumzuzupfen. Jeffrey musste sich zwingen, ihr in die Augen zu sehen und nicht auf die Hände.
Er sagte: »Sechs Kerle, Lena. Wie lange dauert das wohl, bis sechs Kerle sie vergewaltigt hatten, während dein Freund in seinem Pick-up saß und zusah? Wenn es wirklich so war.«
Lena schwieg. »Und dann prügeln sie sie tot. Warum haben sie sich überhaupt noch die Mühe gemacht? Als sie mit ihr fertig waren, blutete sie sowieso aus jedem Loch.«
Sie nagte an ihrer Lippe, den Blick auf die Hände gerichtet. Blut tropfte stetig von ihrer Handfläche, doch sie schien es gar nicht zu bemerken.
Jeffrey hielt die Rolle nicht länger durch. »Wie kannst du ihn bloß schützen?«, fragte er. »Wie kannst du zehn Jahre lang ein Cop sein und dann Abschaum wie ihn decken?«
Seine Worte schienen allmählich zu wirken, also fuhr er fort. »Lena, er ist ein schlechter Mensch. Ich weiß nicht, was zwischen euch läuft, aber … Herrgott nochmal! Du bist ein Cop. Du weißt, wie sich so ein Arschloch durchs Gesetz laviert. Und für jedes winzige Delikt, für das sie ihn drankriegen wollten, gibt es zwölf große Dinger, mit denen er davongekommen ist.«
Jeffrey gab noch nicht auf. »Sein Vater hat gesessen – jahrelang – wegen Waffenhandels. Wir reden hier nicht von Pistolen. Er hat Scharfschützengewehre und Maschinenpistolen vertickt.«
Er wartete, dass sie etwas sagte. Dann fragte er: »Hat Ethan dir von seinem Bruder erzählt?«
»Ja, ja«, sagte Lena so schnell, dass er wusste, sie log.
»Also weißt du, dass er im Gefängnis ist?«
»Ja.«
»Weil er einen Schwarzen umgebracht hat?« Er wartete. »Nicht irgendeinen Schwarzen, Lena. Einen schwarzen Cop.«
Lena starrte auf den Tisch. Sie zappelte mit dem Bein. Er wusste nicht, ob sie nervös wurde oder vor Wut kochte.
»Er ist böse, Lena.«
Sie schüttelte den Kopf, obwohl die Beweise vor ihr auf dem Tisch lagen. »Ich habe dir doch gesagt, dass er nicht mein Freund ist.«
»Egal was er ist, er ist ein Skinhead. Auch wenn er sich die Haare wachsen lässt und seinen Namen geändert hat. Er ist immer noch ein rassistisches Arschloch, genau wie sein Vater und genau wie sein Bruder, der Polizistenmörder.«
»Und ich bin zur Hälfte Jüdin«, fauchte sie ihn an. »Hast du darüber auch schon nachgedacht? Was hat er mit mir zu schaffen, wenn er doch so ein Rassist ist?«
»Gute Frage«, sagte er. »Vielleicht solltest du sie dir selbst stellen, wenn du das nächste Mal in den Spiegel schaust.«
Endlich hörte sie auf, an der Narbe zu kratzen. Sie legte beide Hände auf den Tisch.
»Hör zu«, sagte er. »Das werde ich nur einmal sagen. Egal, in was du verwickelt bist, egal, was mit diesem Kerl läuft, du musst es mir sagen. Ich kann dir nicht mehr helfen, wenn du noch tiefer in die Sache reinrutschst.«
Schweigend starrte sie auf ihre Hände. Am liebsten hätte er sie gepackt und geschüttelt, um irgendeine sinnvolle Aussage aus ihr herauszubekommen. Er wollte verstehen, wie sie auf einen Scheißkerl wie Ethan White reinfallen konnte. Noch viel mehr wollte er hören, dass alles ein riesiges Missverständnis war und dass es ihr leid tat. Und dass sie nicht mehr trinken würde.
Doch Lena sagte nur: »Ich habe keine Ahnung, wovon du redest.«
Er versuchte es noch einmal. »Wenn da was ist, das du mir noch nicht gesagt hast …« Er beendete den Satz nicht.
Natürlich reagierte sie nicht.
Er versuchte es mit einer anderen Taktik. »Wenn du weiter mit solchem Gesocks rumhängst, wirst du deine Marke nie wieder sehen.«
Sie sah auf, und das erste Mal seit langem konnte er ihren Ausdruck lesen: Überraschung.
Sie räusperte sich, als müsste sie erst ihre Stimme wieder finden. »Ich wusste gar nicht, dass das eine Option ist.«
Jeffrey dachte daran, dass sie für Chuck arbeitete, und diese Vorstellung machte ihm immer noch zu schaffen. »Du solltest nicht mit diesem Arschloch arbeiten.«
»Na ja«, sagte sie leise, »bei dem Arschloch, für das ich vorher gearbeitet habe, war ich offensichtlich nicht mehr erwünscht.« Sie sah auf die Uhr. »Wo wir gerade davon sprechen, ich komme zu spät zur Schicht.«
»Lass uns nicht so aufhören«, sagte er. Ihm war bewusst, dass er bettelte.
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