Grappa 02 - Grappas Treibjagd
»Immerhin wissen wir jetzt, dass Frau Engler auch mit drinhängt«, lenkte ich ab, »jetzt ist auch klar, warum sie die Akte wollte, warum sie Sie beschuldigt und warum sie sich mit Ellenbogen getroffen hat. Das Bild wird klarer. Sie hängt mit drin bei der Vermarktung der Kinderpornos. Die Frage ist nur, warum sie so etwas tut? Können Sie mir das sagen, Agnus?«
»Frau Engler ist eine psychisch labile Persönlichkeit. Das muss Ellenbogen wohl erkannt haben.«
»Und Laura? Was hat sie an ihm gefunden?«
Er schwieg verletzt. Er wollte nicht an Laura erinnert werden. Die Frau, die ihn hatte abblitzen lassen. Die ihn und seine romantischen Gefühle verlacht hatte. Er ist ein Romantiker, dachte ich, vielleicht der letzte in diesem Jahrhundert. Immer auf der Suche nach der »blauen Blume«, die es nirgendwo gibt. Doch – war diese Haltung nicht nur eine Flucht? So vermied er es, der Realität ins Auge zu sehen. Doch andererseits spielte er die Rollen, die von ihm erwartet wurden, willig und gekonnt. Der Coup, den wir gerade gelandet hatten, war das beste Beispiel dafür. Agnus Naider war ein Rätsel, doch ich wollte es nicht lösen.
Der Rest der Fahrt verlief ruhig. Wir hatten uns beide verausgabt, die Nerven brauchten eine Pause. Auf den Arm wollte er zum Glück nicht mehr.
Dr. Schnösel macht durch uns Karriere
In der Redaktion wartete ein kribbeliger Peter Jansen. Immerhin waren wir noch voll in der vereinbarten Zeit, hatten komplettes Beweismaterial im Auto, und alles war glatt verlaufen. Bis auf den Anruf von Frau Engler, sie würde bestimmt ihren Herrn Professor informieren, dass im Teutoburger Wald etwas im Gange war. Was soll's, dachte ich, wir hatten alles, was wir brauchten, um eine heiße Story zu schreiben. »Bierstädter Institut als Tarnung für einen Kinderporno-Ring« – ich sah die Überschrift schon vor mir. Oder: »Angesehener Bierstädter Mediziner als Kinderporno-König entlarvt«.
»Na, endlich! Ich saß wie auf heißen Kohlen«, meinte Jansen und schaute uns erwartungsvoll an. »Alles in Ordnung?«
Ich nickte, packte die Plastiktüte, räumte sie aus und spielte Weihnachtsfrau. Die Videokassetten auf die rechte Seite des Tisches, die Magazine in die Mitte, die ungeöffnete Post und die Disketten häufte ich zuletzt aufeinander.
»Hier hast du alles, was wir brauchen, um den Laden und den Verein hochgehen zu lassen. Und Ellenbogen gleich mit!«
Jansen blickte gebannt auf unsere Beute. Ich berichtete kurz und knapp, was sich ereignet hatte. Auch, dass Ellenbogen inzwischen durch Frau Engler von unserem Besuch im Institut erfahren haben musste.
»Lass mich den Dreck mal ansehen«, sagte Jansen, nahm mit spitzen Fingern den Film Wenn der Vater mit dem Sohne und steckte ihn in den Videorekorder. Das Gerät konnte sich nicht dagegen wehren.
Der Streifen startete mit strammer Marschmusik, und auf der Mattscheibe erschien der erfundene Name des sogenannten »Regisseurs«. Danach folgte der Hinweis, dass die Kassette nur für den privaten Gebrauch bestimmt sei.
Dann die Handlung: Trautes Heim mit Vertiko, Schrankwand und Klubgarnitur. Familie beim Kaffeetrinken. Nach dem Genuss eines staubtrockenen Streuselkuchens ging Mutter spülen, und Vater beschäftigte sich mit dem kleinen Sohn. Was sich dann bei schummriger Beleuchtung auf einem alten Sofa abspielte, hatte mit herkömmlichen Erziehungsmethoden nichts mehr zu tun. Dialoge wurden nicht geführt, die untergelegte bayerische Volksmusik gab dem Werk eine fast lächerliche Note.
Peter Jansen starrte fassungslos auf die Mattscheibe und stammelte: »Unglaublich! Und so was darf bei uns verkauft werden?« Angeekelt drückte er die Stopp-Taste.
Er griff zu einem anderen Film: Süße Lolitas am FKK-Strand. Vertriebspreis: 400 Mark. Die Einstiegsdroge für Pädophile, denn die »Lolitas« wurden in den Magazinen als »interessant für Anfänger« angepriesen.
Doch auch in diesem Streifen wurden die Grenzen einer harmlos betriebenen Freikörperkultur bereits überschritten: Kleine Mädchen hüpften splitternackt durch einsame Dünen und mussten sich der Kamera entsprechend präsentieren. Mit Sonnenöl einreiben und sich gegenseitig streicheln. Die Kinder waren keine Anfängerinnen mehr. Der Originalton fehlte, das Ganze war mit einer sterilen Meer- und Wellen-Atmosphäre unterlegt.
Jansen hatte genug von dem Zeug. »Pfui Teufel«, sagte er, »ekelhaftes Zeug.«
»Und was passiert jetzt?«, fragte ich.
»Es geht kein Weg mehr dran vorbei«,
Weitere Kostenlose Bücher