Grappa 02 - Grappas Treibjagd
Ellenbogen mit Beate konfrontieren sollten?«
»Nein, auf keinen Fall. Die Kleine hat sich so gut eingelebt, und meine drei Jungs sind vernarrt in ihre neue Schwester. Warum auch? Das Muttermal fehlt. Also ist Ellenbogen nicht ›Onkel Herbert‹. Tut mir leid für dich. So, jetzt an die Arbeit.«
Pulloverstricken will gelernt sein
Wir lagen am anderen Morgen weit vor den Konkurrenzblättern. War ja auch kein Wunder, denn die konnten nicht schildern, wie eine mutige Reporterin und ein aufrechtes Mitglied der städtischen Beratungsstelle im Teutoburger Wald unter Lebensgefahr Beweismaterial sicherten. Die hatten nur die Informationen, die Dr. Wendelin auf der Pressekonferenz im Polizeipräsidium gegeben hatte.
Ich schrieb den Artikel in Ich-Form, was die Authentizität erhöhte. Peter Jansen reportierte die anschließend angelaufenen Polizeiaktionen nach den Angaben von Polizeireporter Meister. Die Fotos machten aus der Story eine runde Sache, und die schwarzen Balken über den Gesichtern der Festgenommenen erfreuten den Datenschutzbeauftragten des Landes.
Der Artikel schlug ein wie eine Bombe. Von der Explosion konnten wir noch tagelang zehren. Die Bierstädter Bundestagsabgeordneten forderten eine strenge Bestrafung und eine Erhöhung des Strafmaßes, Psychologen äußerten sich zu den Gründen der Pädophilie, Kirchenvertreter beklagten den moralischen Verfall unserer Gesellschaft und machten die Medien dafür mitverantwortlich. Ich wurde eingeladen, vor Schulklassen Vorträge zu halten. Eigentlich hätte ich zufrieden sein können, doch genau das Gegenteil war der Fall.
Die Staatsanwaltschaft hatte Ellenbogen verhört. Nach eigenen Angaben war er ein missbrauchtes Opfer, dessen ehrenhafte Aktivitäten schamlos durch perverse Geschäftemacher ausgenutzt worden waren. Vater Bartusch hatte dicht gehalten. Kowalke und seine Frau spielten die Dummen. Bettina Engler lag mit einem Nervenzusammenbruch im Krankenhaus. Sie war haftunfähig, der Haftbefehl gegen sie wurde nach drei Tagen außer Vollzug gesetzt. Der Haftrichter hatte keine Fluchtgefahr erkennen können.
Ich kam mir vor wie jemand, der ständig anfängt, Pullover zu stricken und nie über das Vorderteil und einen Ärmel hinauskommt. Weil die Wolle nicht ausreicht und der lange Atem fehlt. Ab und zu traf ich mich mit Agnus Naider, der nun allein in seiner Beratungsstelle saß und mit den Problemen dieser Stadt zu kämpfen hatte. Seine Bitte, jemand aus dem Jugendamt in die Beratungsstelle zu versetzen, wurde abgelehnt. Keine Leute, kein Geld.
Bierstadt hatte inzwischen neue Sorgen. Da hatte ein Stahlkonzern aus der Nachbarschaft heimlich die Aktienmehrheit eines Bierstädter Konkurrenten aufgekauft und die Fusion betrieben. Viele Arbeitsplätze würden verloren gehen.
Da geschahen Übergriffe gegen Flüchtlinge und Asylbewerber, die für alles Böse in dieser Welt verantwortlich gemacht wurden. Da wurde um Nominierungen für die bevorstehenden Landtags- und Kommunalwahlen gekungelt und gekämpft, geschoben und gedrückt.
Die Luft war raus aus meiner Geschichte um Mord, Moneten und Mädchenschänder.
Bettina Engler rastet aus
Ich arbeitete in den kommenden Wochen an anderen Themen, deren Bewältigung mich missmutig machte. Es verging kein Tag, an dem Lauras Bild nicht plötzlich vor meinem geistigen Auge auftauchte wie eine Erscheinung. Die Situation nervte mich. Noch nicht einmal an köstlichen Menues und teuren Weinen hatte ich mein Vergnügen. Mein Seelenfrieden war dahin, und mein Scheitern an der Aufgabe, die ich mir gestellt hatte, knabberte an dem Selbstbild einer unerschrockenen Journalistin und unversöhnlichen Rächerin. Auch ich kochte nur mit Wasser.
Das Blatt wendete sich, als ich Bettina Engler sah. Sie war inzwischen entlassen worden. Gleich im doppelten Sinn, aus der U-Haft und aus ihrem Job. Sie lebte von Arbeitslosengeld und wartete auf ihren Prozess.
Ihr kränkliches Aussehen ließ mich auf einen schnellen Erfolg hoffen. Sie stand in einer Kaffeebude und blickte gedankenverloren durch die Scheibe nach draußen. Sie wirkte ungepflegt, war sehr mager und hatte eingefallene Wangen.
Ich betrat das Kaffeegeschäft, holte mir eine Tasse und stellte mich neben sie. Sie blickte hoch und zuckte zusammen, als sie bemerkte, wer ich war. »Hallo, Frau Engler!«
»Guten Tag«, sagte sie leise, »was wollen Sie von mir? Haben Sie nicht schon genug angerichtet?«
»Frau Engler! Ich will nur mit Ihnen reden. Ich habe nichts gegen Sie! Es ging
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