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Grappa 02 - Grappas Treibjagd

Grappa 02 - Grappas Treibjagd

Titel: Grappa 02 - Grappas Treibjagd Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabriella Wollenhaupt
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nennt man es »Kunst«, und die steht unter dem Schutz einer gesetzlich garantierten Freiheit.
    Ich trat näher an das Bild heran. Im Hintergrund sah ich ein schneebedecktes Gebirge, auf dem Einhörner grasten, Getier aus Märchen und Mythologie. Mädchen und Märchen, die Kombination war mir ebenfalls nicht neu.
    Ich war zufällig in diese Galerie geraten. Der Grund war nicht meine Liebe zur Malerei, sondern eine Notiz im Veranstaltungskalender des Bierstädter Tageblattes.
    »Traumhafte Symbolik« wurde versprochen, und das schlechte Schwarzweißfoto eines der ausgestellten Werke sollte dem Kunstfreund Appetit auf mehr machen. Der Künstler war auch auf dem Foto. Amadeus Augenstern, ein begnadeter Autodidakt. Wie gesagt, das Foto war schlecht. Aber noch so gut, dass ich in dem Konterfei des Künstlers einen »alten Bekannten« wiederfand. Es war der Mann, der die Porno-Post beim Bierstädter Postamt unter dem Kennwort »Onkel Herbert« abgeholt hatte und der den Polizeibeamten entwischt war!
    Ich schlenderte durch die Galerie-Räume und versuchte, ein interessiertes Gesicht zu machen. Vernissagen sind langweilig, doch von dieser erhoffte ich mir eine rasche und wirkungsvolle Belebung meiner schlummernden Recherchen. Irgendwas würde ich heute zu sehen kriegen, ich spürte es körperlich.
    Ich schnappte mir ein Glas Sekt und schlürfte. Er war nicht zu trocken, im Abgang spürte ich die Riesling-Traube. Mein Blutdruck stieg an.
    Der offizielle Teil drohte. Ich ging mit anderen Kunstliebhabern in den Vorraum, wo die Eröffnung stattfinden sollte.
    Amadeus Augenstern war in Brokat gewandet. Der Kaftan zeigte stolz alle Farben des Regenbogens. Das lange zuckerwattige Haar war frisch gewaschen und im Nacken zu einem Knoten geschlungen. Die breiten Füße steckten in griechischen Sandalen aus Naturleder. In einer Hand trug er einen chinesischen Fächer aus dünnem Papier.
    Der Meister lächelte und entblößte wundes rotes Zahnfleisch, das um einen Termin beim Zahnarzt bettelte. Dann begrüßte er die Gäste und versuchte, uns seine Bilder zu erklären. Er stand neben einem Bild, das er als »Schlüssel zu den Problemen unserer modernen Welt« interpretierte.
    Ich guckte mir den Schinken genauer an. Viel zu groß und viel zu bunt – das war mein erster Eindruck. Drei Mädchen halten sich an den Händen und gehen auf eine dunkle Höhle zu, die sich ihnen drohend öffnet. Aus dem Dunkel lugt ein pferdeleibiger Satyr mit einem riesigen Geschlechtsteil. Die Kinder sind nackt und tragen Blumen im Haar. Alle drei haben eine Zigarette im Mund, was sehr komisch aussieht.
    »Dieses Bild ist ein Symbol für die noch unerfüllte Sexualität junger, ganz junger Frauen«, erklärte der Künstler. Seine Stimme war leise und einschmeichelnd. »Junge Frauen haben Angst vor dem ersten Mal. Sie empfinden Männer als Bedrohung, ihren Penis als Folterwerkzeug, das sie zerstören will.«
    Amadeus Augenstern machte eine Kunstpause, um die Wirkung seiner Worte zu testen. Und tatsächlich ging ein leises Raunen durch den Raum. Der Meister lächelte wund und fuhr fort: »Die Zigarette hingegen ist eine Metapher für den Zustand unserer Gesellschaft. Vordergründiger Genuss, hemmungslose Hingabe an Drogen und Betäubungsmittel, doch die wahre Erfüllung von Körper und Seele kann nicht erreicht werden. Und so gerät der Mensch, in diesem Fall die junge Frau, immer mehr in den Sog des Verderbens und des oberflächlichen Genusses.«
    Der Meister hielt ein, denn sein Blick hatte die Tür erfasst. Prof. Dr. Christian Ellenbogen trat ein, eine Frau folgte, vermutlich seine Gattin.
    Augenstern stürzte zur Türe und sein Brokatgewand fegte den Fußboden. Er begrüßte den promovierten Nachzügler überschwänglich. Ellenbogens Blick fiel auf mich. Er machte ein Gesicht, als hätte er sich meinen Anblick gern erspart.
    Der Arzt sah blendend aus. Seine Gesichtsfarbe war leicht bräunlich, so, als habe er gerade Urlaub in einem sonnigen Land gemacht. Er trug einen teuren, gut sitzenden Anzug, dunkelblau mit einem dezenten Nadelstreifen.
    Ich sah mir sein Mitbringsel genauer an. Die Gattin war viel kleiner als er und zierlich. Vor 20 Jahren hatte sie bestimmt ausgesehen wie Rosenresli in seiner Glanzzeit, unschuldig, rosig, kindlich und frisch.
    Ihre Kleidung war betont jugendlich: Eine weiße Spitzenbluse, ein ziemlich kurzer Faltenrock und flache Mädchenschuhe mit Samtschleifen. Die Gesichtshaut schien geliftet, denn sie war völlig faltenlos und

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