Grappa 02 - Grappas Treibjagd
wurde von hehren, aber auch weniger edlen Gefühlen überschwemmt. Als ich dann irgendwann atemlos und nahe einem Nervenzusammenbruch den letzten Satz reinhackte, den Text abspeicherte und den leeren Bildschirm vor mir sah, wusste ich: Es war der Killerinstinkt in mir gewesen, der mich hauptsächlich angetrieben hatte. Ich war der Dackel, der sich auf der Jagd in ein viel größeres Tier verbissen hatte … und nicht wieder loslassen konnte. Ich war nicht edel, ich war gemein und schlecht. Getrieben von Ehrgeiz und Machtgefühl. Ich schämte mich. Mindestens 30 Sekunden lang.
Nach dieser kurzen, aber heftigen Phase der Selbsterkenntnis griff ich geläutert zum Telefon. Ich ließ Peter Jansen mithören, denn ich brauchte einen Zeugen.
»Herr Doktor Ellenbogen? Hier ist Maria Grappa vom ›Bierstädter Tageblatt‹. Ich habe gerade einen Artikel über Sie zu Ende geschrieben, der in wenigen Stunden in Druck geht. Natürlich möchte ich eine Stellungnahme von Ihnen dazu haben. Haben Sie einen Augenblick Zeit?«
Er schnaubte, und ich war froh, dass er mir durch den Hörer nicht die Gurgel abdrehen konnte.
»Sie schon wieder? Verfolgen Sie mich noch immer? Wenn Sie in Ihrem Dreckblatt auch nur eine Zeile über mich veröffentlichen, dann breche ich Ihnen den Hals!«
Ich war nahe daran, ihm aufs Wort zu glauben. Aber immerhin lag das Telefon zwischen uns, was sich positiv auf meine Stimmung auswirkte.
»Aber, aber! Wer wird denn gleich so unhöflich sein? Wollen Sie nicht wissen, um was es geht?«
Er atmete schwer. »Wollen Sie mir den Artikel etwa vorlesen?«
»Deshalb rufe ich Sie ja an. Sie können aber auch gern in die Redaktion kommen. Dann lesen wir Ihnen den Artikel hier vor …« Hoffentlich bleibt er, wo er ist, dachte ich. Kugelsichere Westen gehören noch nicht zur journalistischen Arbeitskleidung – allenfalls in Krisengebieten mit bürgerkriegsähnlichen Kampfhandlungen. Und die gab es in Bierstadt nicht so oft.
»Und wenn mich Ihr Dreck nicht interessiert?«
»Dann haben wir unsere journalistische Pflicht getan und Sie als Betroffenen zu hören versucht. Das werde ich dann auch am Ende des Artikels erwähnen, dass Sie sich nicht äußern wollen, meine ich. Also, was ziehen Sie vor?«
»Lesen Sie mir den Schund schon vor!«
Ich las. Fehlerfrei. In korrektem Satzrhythmus. Zog das Tempo an, ließ es wieder gehen. Machte die Stimme dunkel und weich bei der Schilderung der geschundenen Kinder, ließ sie amtlich klingen bei den Zitaten aus den Manila-Akten, wurde schärfer bei der Charakterstudie des Täters namens Professor Dr. Christian Ellenbogen, spuckte beißende Ironie bei der Schilderung der sozialen Taten des Verbrechers aus, drückte auf die Tränendrüse bei der Beschreibung der kleinen Rosario, kurz, ich gab mein Bestes!
Zwischendurch glaubte ich ein leises Stöhnen von Ellenbogen zu hören, das mich allerdings nicht bei meinem Vortrag irritierte. Ich stoppte, denn es gab nichts mehr vorzulesen. »Hallo, Herr Professor? Sind Sie noch da?«
»Wollen Sie das morgen veröffentlichen, mit der vollen Nennung meines Namens?«
»Das hatten wir vor. Wieso, stimmt etwas nicht an meiner Darstellung?«
»Sie werden von mir hören«, drohte er, »noch diese Nacht, das schwöre ich.«
Er hängte ein. Mehr hatte er uns nicht zu sagen. Vorläufig wenigstens.
»Er hat den Hörer aufgeknallt«, teilte ich Peter Jansen mit einem etwas dümmlichen Gesichtsausdruck mit.
»Was soll er sonst tun? Hast du ein tränenreiches Geständnis erwartet?«
Ich hatte plötzlich Angst, dass auf den letzten Metern vor dem Ziel noch alles schief gehen könnte.
»Peter, der knallt uns eine Einstweilige Anordnung um die Ohren, dass es nur so rappelt. Er hat gesagt, dass wir noch diese Nacht von ihm hören! Was können wir tun?«
»Keine Angst, Maria. Ich habe die Zeitungsboten in einer Stunde hierher bestellt.«
»Wieso, der Andruck ist doch erst in vier Stunden?«
»Das schon. In der Morgenausgabe erscheint der Artikel ja auch, wenn er keine Einstweilige Anordnung erwirken kann. Aber wir drucken deinen Artikel als Extrablatt, und die Boten ziehen in einer Stunde damit durch ganz Bierstadt. Alle erreichbaren Briefkästen, alle Kneipen, Leute auf der Straße. Jeder kriegt ein Extrablatt in die Hand gedrückt, ob er es haben will oder nicht. Und wenn Ellenbogen tatsächlich einen Richter findet, der unsere Ausgabe beschlagnahmen lässt, hilft ihm das auch nicht viel. Denn wir sind auf jeden Fall schneller!«
»Das ist
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