Grappa 02 - Grappas Treibjagd
dubiose »Kollegen« von Sex- und Crime-Blättern, aus deren Zeitschriftenseiten jede Woche Blut und Sperma tropften, riefen bei mir an.
Sie alle wollten vor allen Dingen Fotos. Fotos des Kindes aus Manila, Fotos vom festgenommenen weißen Mann. In den Berichten wurde mit scheinheilig erhobenem Zeigefinger die Sexgier der Touristen angeprangert, um kurz darauf die Verbrechen an den Kindern genüsslich in allen Einzelheiten zu schildern. Drehen, senden, recherchieren – so hieß das Rezept der Privatsender. Sie machten Ellenbogen zum Werwolf im weißen Kittel, lauerten ihm mit der Kamera auf, um ihn zu einer Reaktion zu zwingen. Die Schnittbilder in den Berichten stammten aus den Archiven: Viel kindliches Fleisch in schummriger Beleuchtung unterlegt mit Rotlicht-Musik.
Talk-Gefechte wurden inszeniert, Sexual-Wissenschaftler und Menschen mit »gesundem Volksempfinden« wie Kampfhunde aufeinandergehetzt. Fast bis zur Schlägerei – bis der Werbeblock mit dem »Weißen Riesen« und dem »Melitta-Mann« für Ruhe sorgte.
Ich sortierte mit Jansen gerade die Medienanfragen, als Gerda Jansen auftauchte. Sie stürzte in die Redaktion und heulte. »Warum, verdammt noch mal, sind eure Leitungen dauernd besetzt? Beate ist verschwunden.«
Jansen führte seine Frau zu einem Stuhl. »Jetzt erzähl mir genau, was passiert ist, und hör auf zu heulen.«
»Arne kam plötzlich ins Haus gelaufen, die Kinder spielten im Vorgarten. Er erzählte, dass ein grauer Mercedes vorgefahren sei. Der Mann habe Beate gerufen, sie sei hingelaufen. Dann zog der Kerl die Kleine ins Auto und fuhr weg. Oh Gott, es ist schrecklich …«
Sie schlug die Hände vors Gesicht. Jansen und ich blickten uns an, wir dachten dasselbe.
»Hat Arne den Mann beschrieben?«
»Er konnte ihn nicht sehen, die Scheiben waren verspiegelt. Peter, warum tut jemand das? Hat es mit eurer Geschichte zu tun? Eine Entführung, ein Racheakt? Nun sag doch was!«
Jansens Gesicht war plötzlich grau. Er hatte die Kleine ins Herz geschlossen wie ein Vater, der sich immer eine Tochter gewünscht hatte. Und nun das! Doch er behielt die Nerven. »Wir müssen die Polizei einschalten. Das ist Kindesentführung! Mach dir keine Sorgen, Liebling! Wir finden sie schon!«
Jansen wählte. Ich sprach beruhigend auf Gerda Jansen ein. »Es wird schon nichts passieren … beruhigen Sie sich.«
»War es vielleicht der Vater des Kindes? Könnte das sein?«
Ich winkte ab. »Das kann nicht sein, denn der sitzt im Knast. Und der fährt einen BMW und keinen Mercedes. Ich vermute, dass – regen Sie sich aber nicht auf – es dieser Ellenbogen getan hat. Der fährt so ein Auto.«
»Ein Racheakt, aber warum? Der Artikel ist doch von Ihnen, Maria! Woher kennt er das Mädchen überhaupt?«
Sie begriff nichts. Jansen war mit seinen Informationen sparsam umgegangen.
»Gerda«, meinte Jansen, »wir glauben, dass Ellenbogen der Mann ist, der Beate jahrelang missbraucht hat …«
»Der?!« Sie schrie. »Ich dachte, der treibt seine Schweinereien in Manila? So habt ihr doch berichtet. Dieser Kerl soll dieser Onkel Herbert sein? O Gott, was wird er dem Kind antun? Und ihr habt ihn mit eurem Artikel direkt auf Beate gehetzt!«
»Beruhige dich, Gerda. Die Polizei will sofort handeln. Und wir tun auch was. Tu mir bitte den einen Gefallen und fahr nach Hause! Warte am Telefon auf Nachricht! Kümmere dich um die Jungen. Tust du das?«
Sie nickte. »Und wenn er Beate wieder …«
»Denk nicht an so was! Der Mann hat im Moment andere Sorgen! Der ist auf der Flucht vor der Polizei! Die sucht ihn nämlich jetzt!«
»Deshalb hat er das Kind entführt! Beate ist die einzige, die ihn belasten kann! Dann wird er sie umbringen! Mein Gott, er wird sie töten!«
»Gerda, werde nicht hysterisch. Ich bestelle dir ein Taxi nach Hause. Und da wartest du auf meine Nachricht!«
Jansen stand unter Starkstrom. Seine Stimme war leise vor unterdrücktem Zorn. Wenn jetzt Ellenbogen zur Tür hineinspazieren würde, hätte dessen letzte Stunde geschlagen! Doch nicht Ellenbogen stolperte zur Tür rein, sondern Agnus Naider, den es ja auch noch gab. Ich hatte diese Tatsache tief in mein Unterbewusstsein verdrängt.
Er sah wieder aus, als habe er seine Kluft bei der Altkleidersammlung zusammengeklaubt. Das sogenannte Bergmannshemd war vom vielen Kochen blass gebleicht, die Haare hingen ihm wirr und glanzlos um die Stirn, und die Jeans trug er wohl Tag und Nacht.
In der einen Hand trug er eine Flasche Sekt. Seine Laune war
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