Grappa 03 - Grappa macht Theater
war mir klar, dass Nello kein armer Mann war. Sein Konto stand voll in den schwarzen Zahlen, und am Monatsende hatte er noch Geld übrig.
Mir fiel auf, dass er regelmäßig zum 15. des Monats 2000 Mark per Einzelauftrag überwies an eine Anneliese von Prätorius. Das war die Ex-Ehefrau, die er uncharmant »Vampir« nannte, weil er sich von ihr gnadenlos finanziell ausgepresst fühlte. Eine seiner Übertreibungen, denn 2000 Mark Unterhalt im Monat waren nicht eben ein Vermögen.
Ich schaute auf die Armbanduhr: Es war schon der 17. des Monats. Nello war seit drei Tagen verschwunden. Der »Vampir« hatte noch keine müde Mark gesehen.
Ich wühlte weiter und fand das, was für Schnüffler wie mich zur Goldgrube werden kann: Einen Terminkalender. Dieser Fund war aber auch der Bewies dafür, dass Nello von Prätorius etwas zugestoßen sein musste, denn kein Journalist geht ohne seinen Terminkalender aus dem Haus!
Ich steckte das Lederbüchlein ein, warf die Reste des Frühstücks ins Klo, spülte das Geschirr notdürftig, gab den Schlüssel wieder ab und verschwand.
Kein Bock auf Plädoyers für Aschenputtel
In der Redaktion meines hauptsächlichen Brötchengebers, des »Bierstädter Tageblattes«, tobte das Chaos. Peter Jansen, der Lokalchef, zimmerte ein neues Layout für den nächsten Tag.
»Wir müssen alles umschmeißen«, beklagte er sich, »und das heute, wo ich Karten für das Spiel ergattert habe. Und das beginnt in zwei Stunden!«
»Das Spiel«, das konnte nur Fußball bedeuten, um den sich in Bierstadt so ziemlich alles drehte.
»Ich fange sofort an zu schreiben«, wollte ich ihn trösten, »ich hol mir nur noch einen Kaffee!«
»Deine Geschichte vergessen wir!«, teilte er mir mit. Ich verstand Bahnhof. Die Besuche im Gefängniskrankenhaus und in Nellos Wohnung hatten mich mehr als einen halben Tag gekostet, und nun sollte alles vergebens sein?
»Nicht mit mir, Peter!«, protestierte ich. Doch Jansen nahm mich überhaupt nicht wahr, sein Interesse galt unserem Knipser.
»Haben wir endlich das Foto von der Kleinen?«, drängelte er den Fotografen, der ihm prompt ein Bündel noch feuchter Abzüge hinschob.
»Sehr schön«, schnalzte Jansen mit der Zunge, »die Kleine ist ja wirklich fotogen! Guckt euch das mal an!«
Die anwesenden Kollegen ließen ihre Arbeiten ruhen und stürzten zu Jansens Schreibtisch. Auch ich blickte ihm über die Schulter. Die Fotos zeigten eine junge Frau, die malerisch in weißen Kissen lag, das Nachthemd so weit geöffnet, dass der Ansatz des vollen Busens zu sehen war. Ihre kurzen schwarzen Haare legten sich wie ein Helm um ihr ernstes Gesicht. Die Augen starrten am Betrachter vorbei und gaukelten Melancholie vor. Irgendwie kam sie mir bekannt vor.
»Wer ist die Maus?«, fragte ich, doch niemand antwortete mir. Alle glotzten wie gebannt auf die Fotos.
»Guckt euch diese großen Ohren an! Bombastisch!«, jubelte der Sportredakteur hingerissen. Die anderen schwiegen. Um ihre Münder lag ein andächtiger Zug.
»Die hätte auch noch mehr gezeigt«, prahlte der Fotograf, »aber wir sind ja schließlich eine Familienzeitung. Doch ich darf noch mal wiederkommen. Hat sie gesagt, ehrlich!«
Neid glomm in den Augen der Männerriege auf.
»Die schaffst du doch nicht mehr, Kleiner!«, behauptete der Sportsmann und schaute den Fotografen mitleidig an. »Die braucht einen richtigen Kerl und nicht ein solches Männchen wie dich!«
»Es kommt nicht auf die Größe an und auch nicht auf ein großes Maul«, setzte sich der Knipser zur Wehr, »ich kann immerhin gute Fotos machen, und womit kannst du dienen? Ach ja, du kannst mit verbundenen Augen zwanzig Biersorten voneinander unterscheiden! Toll, wirklich toll. Genau darauf wird sie stehen, ganz bestimmt!«
»Schluss jetzt!«, befahl Jansen. »Hebt euch euer Platzhirschgesülze für die Freizeit auf. Hier wird hart gearbeitet und streng nach dienstlichen Gegebenheiten entschieden.«
Er fischte ein Foto aus dem Packen und stellte fest: »Das nehmen wir! Dreispaltig 120 hoch.«
Ich hatte dem typischen Männerdialog gebannt gelauscht. Die Frau auf dem Bild war die Schauspielerin Beate Elsermann. Ich hatte sie nicht sofort erkannt, weil sie auf der Bühne eine blonde Perücke getragen hatte.
»Was ist los mit der Frau?« Langsam riss mir der Geduldsfaden. »Ich renne mir die Hacken platt, versuche was über die Motive dieses verrückten Jungen herauszukriegen, und nun macht ihr eine andere Story daraus! Und das auch noch ohne mich!
Weitere Kostenlose Bücher