Grappa 03 - Grappa macht Theater
nichts vormachen, denn er kannte die Symptome.
»Eine Weinprobe«, gestand ich, »bei Otto Grünger. Mit diesem Herrenklub, der sich ›Loge‹ nennt.«
»Grappa und ein Rudel Wölfe! Ist denn etwas dabei rausgekommen außer deinem Tief?«, erkundigte er sich.
»Mein Überblick ist futsch! Ich habe Sherlock Holmes spielen wollen, doch es war noch nicht einmal Miss Marple. Beutelmoser ist Nellos Mörder, doch ich habe nicht den geringsten Beweis!«
»Kopf hoch, Grappa-Mäuschen!«, tröstete er mich. »Vergiss den Abend gestern. Mach da weiter, wo du aufgehört hast. Übrigens! Boris Austerlitz hat für dich angerufen. Er kann Beate Elsermann nicht umgebracht haben, denn er hat ein Alibi. Er befand sich nämlich in einer Ausnüchterungszelle wegen Alkohols am Steuer. Die Polizei hat ihn festgenommen, als er gerade eine Stunde wieder zu Hause war. Und er will dich dringend sprechen!«
Eine allumfassende Gleichgültigkeit ergriff mich. »Kann sein, aber ich will nicht mehr! Die Story ist eine Nummer zu groß für mich. Ich spüre es!«
»Maria! Wo ist dein Elan geblieben? Du machst weiter! Ein Kater kann dich doch nicht umwerfen! Denk an deine anderen Storys. Irgendeine heiße Geschichte hatten wir immer, wenn du dich für einen Fall interessiert hast. Du hast ein Händchen für Komplikationen!«
Er führte mich zu einem Stuhl und ließ eine Tasse Kaffee kommen. Dann machte er weiter mit seiner Du-wirst-doch-wohl-funktionieren-Therapie.
»Austerlitz hat es ganz dringend gemacht! Der Junge will dir was über seine gemeuchelte Schnalle erzählen! Also nix wie hin!«
Es reichte. »Sprich nicht so verdammt frauenfeindlich!«, schnauzte ich ihn an. »Schließlich ist die Arme tot.«
»Entschuldige! Das originelle Wort ›Schnalle‹ habe ich von dir gelernt. Also was ist? Wann machst du endlich weiter?«
»Wir Journalisten sind widerlich«, bekannte ich, »wir wollen die Menschen nur ausquetschen, interessieren uns nicht wirklich für sie. Gieren nach Sensationen, die wir möglichst clever vermarkten. Unsere Köpfe sind Durchlauferhitzer. Die Information wird eingegeben, umgewandelt in Nachrichten, Schmalz oder Rufmord und wieder ausgespuckt. Als Meldung, Reportage oder Sensationsstory. Wir sind Ausbeuter! Scharlatane! Verbrecher! Dieser Beruf gehört verboten!«
Anklagend schaute ich in die Runde, doch niemand schien beeindruckt und gewillt, sich in Sack und Asche zu hüllen. Ich schlug vor Enttäuschung die Hände vors Gesicht.
»Bringt unserer Grappa einen Schoko-Riegel!«, brüllte Jansen durch das Großraumbüro. »Ihr Blutzuckerspiegel kippt ab! Ein bisschen dalli!«
Die Sekretärin sprintete in die Kantine und kam wenig später mit einer hübschen Süßwaren-Kollektion zurück.
»Ich hasse Halbbitter-Schokolade!«, sagte ich, als mir Jansen einen Riegel in den Mund schieben wollte. »Ich will Vollmilch-Nuss!«
»Kein Problem! Mund auf! Kau die Nüsse aber richtig, damit du dich nicht verschluckst!«
Ich ließ den Schmelz der Vollmilchschokolade auf meiner Zunge zergehen und lutschte genüsslich die Haselnüsse aus der Masse. Als sie nicht mehr von Schokolade umhüllt waren, klemmte ich die Backenzähne zu und zersplitterte sie. Das Gefühl hatte was!
»Gib mir die Nummer von Boris Austerlitz«, bat ich Jansen, »ich werde mal hören, was er mir zu sagen hat!«
Jansen atmete auf. »So ist es gut, Maria! Endlich bist du wieder die Alte! Willkommen im Klub der Ausbeuter und Scharlatane! Hier, iss das!«
Er schob mir die andere Hälfte der Schokoladentafel in den Mund. Als ich wieder reden konnte, wählte ich die Nummer.
Der große Bluff und das blonde Fallbeil
Fünf Stunden später aß ich schon wieder. Im »Pinocchio« knabberte ich mit Hingabe an knusprigem Knoblauchbrot und wartete auf Boris Austerlitz. Der Zeiger meiner Personenwaage dürfte morgen früh im roten Bereich landen. Es war mir egal.
Da kam er. Sein schwarzes Haar war stumpf und zu lang. Er trug ein blaues Hemd, das zu heiß getrocknet und nicht gebügelt worden war, auf der schwarzen Hose prangten einige Flecken. Seine Hände zitterten, als er sich an der Stuhllehne festhalten wollte.
»Wie sehen Sie denn aus?«, entfuhr es mir.
»Ich habe seit zwei Tagen nichts mehr gegessen«, krächzte er, »und jetzt habe ich Hunger.«
»Kein Problem«, sagte ich und spürte die kläglichen Reste eines dubiosen Pflegetriebs in mir aufglimmen, »hier ist die Speisenkarte. Es gibt 10 Sorten von Vorspeisen, 20 Nudelgerichte und zehn
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