Grappa 03 - Grappa macht Theater
sein?«, fragte Höfnagel harmlos. Ihm schien der Anfang meiner Geschichte zu gefallen. Er guckte neugierig in die Runde. Doch er sah nur vereiste Mienen.
»Es war jemand aus Ihren Reihen, zu dem er sich geflüchtet hat. Die Frage ist nur, wer? Und vor allen Dingen, warum? Wer immer Nello von Prätorius erschlagen hat, musste einen triftigen Grund dafür gehabt haben!«
»Weiter!«, drängte Höfnagel. »Die Sache gefällt mir. Grappa führt die Ermittlungen wie in diesen englischen Detektivromanen. Die Verdächtigen sitzen in trauter Runde zusammen, und durch die Schärfe des Verstandes des Detektives kommt alles heraus, der Täter gesteht und bricht zusammen. Wie bei Miss Marple.«
Ich schluckte. Warum verglich er mich ausgerechnet mit dieser alten Schrulle?
»Ich kann das überhaupt nicht witzig finden«, schimpfte Feudel und schaute Höfnagel wütend an, »wir sind doch hier nicht bei der Inquisition. Was berechtigt diese Journalistin, uns den Abend zu verderben? Die behandelt uns so, als wären wir ein Mörderklub!«
»Wenn du Intendant werden willst, dann muss du noch mehr aushalten als dieses Geplänkel!«, gab ihm der Kulturdezernent eins über. »Also stell dich nicht so an! Weiter, Frau Grappa!«
»Wie Sie wollen! Also, wir waren bei dem Grund für den Mord. Oder – bei den Gründen. Die werde ich Ihnen jetzt darlegen!«
»Dieser Wein«, tönte Otto Grünger dazwischen, »ist im Barrique ausgebaut. Lassen Sie ihn leicht über die Zunge gleiten, und Sie werden merken, wie er in Ihrem Mund vagabundiert. Ist dies nicht ein betörendes Spiel, reintönig mit der feinen Frucht von reifen Brombeeren?«
Die Herren schlürften die Tropfen durch die Zähne in den Mundinnenraum. Verharrten und warteten. Das Vagabundieren erforderte seine Zeit.
Ich tauchte meine Zunge nur ganz kurz ins Glas und spuckte schaudernd wieder aus. Der edle Wein erinnerte mich an einen Beichtstuhl. Er schmeckte nach dem Geruch, den ich als kleines Mädchen inhalieren musste, wenn mich der Priester bei der Beichte nach den Haupt- und Nebensünden befragte.
»Wir waren bei den Gründen. Herr Pistor! Erinnern Sie sich noch an einen Tag vor etwa 25 Jahren, als Sie die Hauptrolle in Lessings ›Nathan, der Weise‹ spielten? Am Tag zuvor hatte Sie Nello in Grund und Boden rezensiert. Sie verließen die Bühne nach einem Akt, gingen in den Zuschauerraum und hauten Prätorius eine runter. Dann spielten Sie weiter, und Bierstadt hatte seinen Theaterskandal.«
»Gut recherchiert!«, lobte Pistor. »Die Sache damals hat mir wirklich Spaß gemacht. Ich habe ihm mit großer Freude eine gelangt. Danach fühlte ich mich besser, und wir wurden Freunde.«
»Ich weiß«, sagte ich, »aber da gibt es noch was: Sie waren damals mit einer jungen Schauspielerin verlobt, sie wurde später Nellos Frau, und er hat sie zugrunde gerichtet. Hat Sie das völlig kalt gelassen?«
»Eine Frau kann eine echte Männerfreundschaft nicht verhindern«, polterte Pistor los. »Nachdem Anneliese Nellos Frau wurde, habe ich die Sache vergessen. Es wäre doch völlig verrückt, ihn 20 Jahre später deswegen umzubringen. Ich bin ein jähzorniger Mensch, Frau Grappa! Bei mir muss alles sofort raus. Glauben Sie, ich trage 20 Jahre lang ein Schwert in meinem Gewande?«
Nein, das glaubte ich wirklich nicht. »Ich muss alle Möglichkeiten in Betracht ziehen«, meinte ich. »Aber ihr Motiv ist nicht so schwerwiegend wie das von anderen.«
Pistor rückte seinen Bauch zurecht und wandte sich den Flüssigkeiten auf dem Tisch zu. Für ihn war die Sache erledigt.
»Bleiben nur noch Höfnagel, Beutelmoser und Feudel.«
Der Kulturdezernent schaute mich überrascht an, als er seinen Namen im Kreise der Verdächtigen wiederfand.
»Höfnagel ist jemand«, fuhr ich fort, »der Menschen nicht hasst, sondern nur verachtet. Der sie nicht liebt, sondern nur benutzt. Zur Liebe wie zum Hass braucht der Mensch Gefühle, die wie Feuer brennen. Dass Höfnagel dem armen Nello mit dem Spazierstock eins übergezogen hat, kann ich mir nicht vorstellen.«
»Das ist aber überhaupt kein Kompliment«, maulte Höfnagel, »ich morde also nicht, weil mir die Menschen egal sind, oder?«
»Exakt. Jetzt zu Ihnen, Herr Feudel. Sie wollen noch immer Generalintendant der Städtischen Bühnen werden. Dieser Wunsch ist zu einer fixen Idee geworden. Sie sind ein erfolgreicher Geschäftsmann, Sie haben die ›Loge‹ gegründet, und alle, die Ihnen auf Ihrem Weg gefolgt sind, haben sich – wir sagen mal –
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