Grappa 03 - Grappa macht Theater
murmelte Aristide von Prätorius in mein Ohr. »Ich habe keinen Parkplatz gefunden.«
Das war eine Entschuldigung, für die ich immer Verständnis habe. Der Verlagsmann eröffnete die Pressekonferenz. Zunächst lobte er Beutelmosers Werk und erwähnte seinen letzten Gedichtband mit Lyrik für »Junge und Junggebliebenen« mit dem Titel »Pflanzen hören dir zu«. Auch das gesellschaftspolitische Engagement des Literaten sei beispielhaft in seiner allumfassenden Präsenz und erstaunlichen Allgemeingültigkeit.
Die Kulturjournalisten schwankten zwischen Langeweile und Amusement. Einer gähnte dezent, ein anderer widmete dem Strohblumenstrauß auf dem Tisch ungewöhnliches Interesse.
Beutelmoser war für sie ein Niemand, und das sollte vermutlich auch so bleiben. Journalisten können grausam sein! Er tat mir fast leid, der alte Dichter.
Dann wurden die ersten Exemplare der »Geschichte von Adam und Eve« verteilt. Die Journalisten griffen das Werk mit spitzen Fingern und legten es vor sich hin. Dann studierten sie die Speisenkarte und warfen einen flüchtigen Blick auf den Waschzettel.
Meine Finger klappten den Schmöker auf. Die erste Seite ließ mein Herz vor Freude hüpfen! Diesen Anfang hatte ich doch schon mal gelesen. Es handelte sich um genau dieselbe langatmige Beschreibung einer Schiffsfahrt zu der Insel, die Adam und Eve erst zur Zuflucht und dann zum Verhängnis wird.
Ich blätterte zum Ende des ersten Kapitels und wusste, wie es enden würde: Der Protagonist, von Seekrankheit und Angst gepeinigt, ruft das Universum an:
Er flüsterte erst, dann schrie und tobte er: »Das Universum dehnt sich aus. Weiter und weiter. Es flieht und bricht in unzählbar viele Stücke. Oh, Eve!«
Die dichterische Feinheit dieser Szene hatte sich mir auch nach mehrmaligem Lesen und dem Genuss von einigen Gläsern Chablis Grand Cru classé nicht erschlossen. Dafür besaß ich die Beweise für Beutelmosers geistigen Diebstahl. Aristide hatte ebenfalls in dem Buch geblättert, er sah mich an, nickte, und seine Augen glänzten.
»Wir warten noch etwas«, flüsterte ich ihm zu, »ich will sehen, wie das hier weitergeht.«
Er griff in die Aktentasche, nahm das Manuskript seines Vaters heraus und legte es vor sich hin. Niemand nahm Notiz von uns. Inzwischen kreisten die Speisenkarten.
Dann erst erhob der Meister seine Stimme. Er schilderte die Entstehungsgeschichte seines neuen Romans in blumigen Worten. Wie er von einer immer stärkeren inneren Macht dazu getrieben wurde, die letzte Liebesgeschichte seines Lebens mit all ihrer Erfüllung, aber auch ihrer Bitternis schriftlich niederzulegen. Inzwischen sei die »Eve« in dem Buch ja durch Mörderhand dahingerafft worden.
Das Interesse an dem Mann und seinem Werk stieg. Die Fotografen, die sich bis dahin apathisch in den Ecken herumgedrückt hatten, fuchtelten hektisch an ihren Kameras. Blitze erhellten den Raum. Beutelmoser hielt sein Buch in die Kamera. Auf seiner Wange glänzten die Reste von Tränen.
Die Aufregung legte sich. Die Kollegen begannen zu arbeiten, stellten Fragen und kritzelten ihre Blocks voll. Der Reporter des Lokalradios goss seinen Kaffee versehentlich über den Kassetten-Rekorder und fluchte laut. Schwaden von Nikotin hatten die Luft in dem kleinen Zimmer völlig verpestet. Ich erhob mich und riss das Fenster auf.
Mein Blick fiel auf die Straße. Vor dem Rathaus-Café parkte ein Nobelauto. Silbertannengrün-metallic. Am Steuer erkannte ich »Putzi«. Er wandte seinen Kopf und blickte in meine Richtung. Ich verzog mich hinter die Gardine und ging schnell auf meinen Platz zurück. Verfolgte er mich, oder wollte er wissen, was Beutelmoser tat?
Ich dachte nicht weiter über die Antwort nach, denn die Fragestunde hatte begonnen. Da wollte ich mitmischen.
»Herr Beutelmoser«, begann ich, »wie kommt es, dass Sie jahrelang nur kleinere Texte verfasst haben und nun dieses stattliche epische Werk vorlegen? Es passt im Stil gar nicht zu Ihnen, ist völlig anders im Denken und Empfinden. So – als habe es ein anderer verfasst!«
Er blickte mich an, als sei ich eine lästige Fliege, die nur eins verdiente: Mit der Klatsche gemeuchelt zu werden. Doch er beherrschte sich, denn auf Pressekonferenzen waren im Prinzip alle Fragen erlaubt.
»Man kann den Musenkuss nicht immer erzwingen«, tönte er. »Jeder Schriftsteller hat auch Schaffenskrisen, an denen er wachsen kann. Bei anderen Menschen führen sie zur Depression, mich haben zahlreiche Schicksalsschläge
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