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Grappa 05 - Grappa faengt Feuer

Grappa 05 - Grappa faengt Feuer

Titel: Grappa 05 - Grappa faengt Feuer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabriella Wollenhaupt
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Zimmer war hell und bot einen atemberaubenden Blick auf die Berge des Pindos, über dessen Gipfel der Himmel rosa schien. Das tiefe, satte Grün der Nadelwälder wechselte mit gelbblühendem Ginster und braungrauen Felsen ab.
    Ich öffnete das Fenster. Von hier aus konnte ich direkt in den Innenhof blicken. Noch nie hatte ich so schöne Rosen gesehen. Die Zweige neigten sich unter dem Gewicht der roten, gelben, weißen und rosa Blütenköpfe dem Boden entgegen.
    Es klopfte. Es war Daphne. »In zehn Minuten gehen wir essen«, kündigte sie an. »Fünfzig Meter von hier ist ein kleines Restaurant. Herr Kondis ist schon dort und organisiert das Essen.«
    »Kommen Sie doch rein«, forderte ich sie auf, »und sagen Sie mir, wie es Ihnen geht.«
    »Es geht mir gut«, log sie. »Ich muss die Sache vergessen, darf einfach nicht mehr daran denken.«
    »Daphne! So werden Sie niemals damit fertig! Er bedroht Sie doch weiterhin. Denken Sie an den Minzzweig im Bus! Wir müssen versuchen, das Schwein zu finden!«
    »Und wie?«
    »Irgendwann verrät er sich. Wir sollten auf Zeichen achten, auf Fehler. Er wird weitermachen. Wenn nicht bei Ihnen, dann bei anderen Frauen. Eines Nachts steht er vielleicht bei mir vor der Tür oder bei Frau Vischering. Oder er zieht los und überfällt eine Frau, die er zufällig trifft. Der Kerl ist verrückt. Er hält sich für einen griechischen Gott. Haben Sie denn gar keine Idee, wer es gewesen sein könnte? Irgendeinen Verdacht?«
    Sie schüttelte den Kopf. Dann stutzte sie. »Vielleicht doch. Als ich eben aus meinem Zimmer kam, habe ich einen Strauß aus Wiesenblumen gefunden, den jemand hinter die Türklinke geklemmt hatte.«
    »Das war Ajax Unbill«, erklärte ich, »Kondis und ich beobachteten ihn beim Blumenpflücken. Er himmelt Sie an, der arme Tropf.«
    »Auch das noch«, sagte sie abwehrend, »als ob ich nicht schon genug Probleme hätte. Aber lassen wir das Thema. Kommen Sie mit zum Essen?«
    »Ich hüpfe noch schnell unter die Dusche und komme dann nach.«
    Sie beschrieb mir den Weg und ließ mich allein. Ich verriegelte die Tür, ließ den Schlüssel von innen stecken und warmes Wasser über mich laufen.

Die Bürde der Geschichte und ein Befreiungsplan
    Es gab Tiropita, einen flachen goldgelben Kuchen, der mit Schafskäse belegt und überbacken worden war. Dazu dunkellila Oliven, Salat und kalten Rosewein. Die Wirtin wieselte aufgeregt um uns herum. Sie hatte kupferrotes, vom vielen Färben schütter gewordenes Haar, das sie in die Höhe gebürstet hatte, um Fülle vorzutäuschen. Vor dem Eingang des Restaurants hockte eine uralte Frau mit abwesendem Gesicht auf einem niedrigen Stuhl. Sie war ganz in Schwarz gekleidet, ihr schlohweißes Haar lugte nur ein wenig unter dem Kopftuch hervor. Ihr Gesicht war von Tausenden Furchen und Falten durchzogen, wie die Rinde einer hundertjährigen Eiche. In den Augen hatten die Geschichten von Generationen einen verschwiegenen Platz gefunden, die knochigen Hände spielten mit einer Kette aus dunklen Holzperlen.
    Ich konnte meinen Blick nicht von der alten Frau lassen. »My grandmother«, erklärte die Wirtin, die mein Starren bemerkt hatte. Dann erzählte sie etwas auf Griechisch.
    »Sie sagt, dass ihre Großmutter über 100 Jahre alt ist und sich bester Gesundheit erfreut«, übersetzte Pater Benedikt, der in meiner Nähe saß.
    »Sie sprechen griechisch?«, fragte ich erstaunt. Die Wirtin war ebenso überrascht wie ich und redete auf ihn ein.
    »Ihre Großmutter hat als junges Mädchen gegen die Türken gekämpft, das war 1922. Ihr Mann und ihre sechs Söhne sind in den vierziger Jahren im Bürgerkrieg zwischen den Kommunisten und Königstreuen gefallen. Doch sie hat nie aufgegeben und war in den sechziger Jahren als politischer Häftling im Gefängnis – während der Zeit der griechischen Militärdiktatur.«
    Die alte Frau hatte bemerkt, dass wir über sie sprachen. Sie hob den Kopf, drehte das rechte Ohr zu uns hin und lauschte. Ihr zahnloser Mund verzog sich zu einem Lächeln, die Hände verkrampften sich um die schwarzen Perlen.
    Was für ein Leben! Jeder spürt nur den eigenen Schmerz, dachte ich, denn er gehört jedem selbst, und niemand kann ihn stehlen.
    Nachdenklich krümelte ich den Kuchen vor mich hin. Dieses Land, seine Menschen und seine Geschichte und seine Geschichten hatten mich in einen merkwürdigen Bann gezogen.
    Ich dachte an die Toskana, die ich oft bereist hatte. Dort war die Stimmung heiter und leicht, die Menschen

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