Grappa 05 - Grappa faengt Feuer
erwachsener Mann gibt nie leichtsinnig ein großes Indianerehrenwort. Schaffst du die beiden Koffer, oder soll ich sie nicht lieber nehmen?«
Er lachte schallend. »Du kannst manchmal sehr erheiternd sein!«
»Extra für dich«, grinste ich, »wenn du willst, schlage ich Rad oder mache einen Kopfstand. Ich kann auch schmutzige Lieder singen. Ich bin eine Frau mit vielen Begabungen.«
»Einige deiner Talente würde ich ja gern mal testen«, meinte er maliziös, »aber du lässt mich ja nicht.«
»Die Reise ist noch nicht zu Ende. Wenn ich meine Talente gleich zu Beginn zum Besten gebe, was machen wir dann die restlichen Tage?«
»Gemeinsame Talente entwickeln. Oder deine und meine Talente ausbauen. Ich hätte da schon einige Ideen.«
»Das glaube ich dir aufs Wort. Schau mal, was macht Ajax denn da?«
Sohn Unbill war auf eine blühende Bergwiese gelaufen und pflückte Blumen. Andächtig suchte er eine nach der anderen aus, brach ihre Stängel und fügte sie zu einem Strauß zusammen.
»Die sammelt er bestimmt für Daphne«, mutmaßte ich. »Ich glaube, er ist verliebt in sie. Rührend, nicht wahr? Komm, lass uns weitergehen, sonst schämt er sich womöglich noch.«
»Dieser Battos hat sie nicht alle«, behauptete Kondis.
»Sei nicht so grob. Der arme Kerl kann nichts dafür, dass sein Vater dein Feind ist. Warum nennst du ihn eigentlich ›Battos‹?«
»Das ist auch wieder so eine mythologische Geschichte. Willst du sie hören?«
»Ich kann nicht genug davon kriegen!«
»Battos hieß eigentlich Aristoteles, er hat aber mit dem Philosophen nichts zu tun. Er war der Sohn einer Königstochter, die bei ihrem Vater, dem kretischen König Etearchos, in Ungnade fiel. Ein Kaufmann aus Thera versprach dem Vater, Phronimene – so hieß die Tochter – zu töten. Battos rettete sie aber und nahm sie nach Thera mit, wo sie die Konkubine eines vornehmen Mannes wurde. Wegen seines Stotterns wurde der kleine Aristoteles ›Battos‹ genannt.«
»Und? Wurde er sein Stottern los?«
»Battos rief das Orakel in Delphi an, um zu erfahren, wie er geheilt werden könnte. Die Pythia riet ihm, eine Stadt in Libyen zu gründen. Doch kurz vor der afrikanischen Küste drehten Battos und seine Männer um, kehrten aber Jahre später wieder nach Afrika zurück. Battos wurde Herrscher der griechischen Kolonie in Libyen.«
»Aber gestottert hat er immer noch.«
»Nicht mehr lange. Außerhalb der Stadt Kyrene kam plötzlich ein Löwe auf Battos zu. Er brüllte ihn an, der Löwe machte sich davon, und seit dieser Zeit konnte Battos fließend reden.«
»Typischer Fall von Schock. An Fantasie sind deine Vorfahren wirklich kaum zu überbieten. Wie lange lebst du eigentlich schon in dem wilden Germanien, diesem kalten Land mit seinen Menschen, die, nur mit Fellen bekleidet, schreiend von Baum zu Baum hüpfen?«
»Fast 20 Jahre. Ich habe in München Archäologie studiert und bin dann hängengeblieben.«
Ich hätte gern gewusst, ob er verheiratet war, verkniff mir die Frage aber. Vermutlich hätte er sowieso gelogen oder von einer Ehefrau gesprochen, die ihn nie verstanden hatte.
Schweigend gingen wir nebeneinander her. Das Dorf hatte Häuser aus Naturstein, die sich eng aneinander kuschelten. Die Gebäude waren größer, als sie auf den ersten Blick schienen, hatten gemütliche Innenhöfe mit Bäumen, kleinen Gärten, gemauerten Backöfen und Sitzbänken.
»Hier wohnten früher mächtige Bauernfamilien, die ihre riesigen Ziegen- und Schafherden im Sommer in die Berge trieben. Sie fischten in den Flüssen, jagten ihr Wild, sammelten Honig, feierten ihre Feste. Nur selten kam ein Fremder in die Dörfer. Mit dem Tourismus ist dieser Friede zu Ende gegangen. Heute kaufen reiche Griechen die alten Häuser, restaurieren sie und verbringen die Sommermonate hier. Schau, da ist unser Hotel!« Kondis deutete auf ein zweistöckiges Haus, dessen Außenmauern von üppig blühenden roten Kletterrosen überwuchert waren.
Durch einen runden Torbogen gelangten wir in den Innenhof, dessen steinerner Boden die Wärme der Sonne reflektierte.
»Der Reiseleiter ist mal wieder der Letzte«, nörgelte Waldemar Unbill. »Wann können wir endlich auf unsere Zimmer?«
Kondis schluckte den Anpfiff, die anderen waren vom Aufstieg und Kofferschleppen erschöpft. Pater Benedikt steckte seine Nase in eine Rose und sog den Duft ein.
Die Hotelbesitzerin kam mit den Schlüsseln und verteilte sie. Ich griff mein Gepäck und hievte es eine Holztreppe hoch.
Das
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