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Grappa 05 - Grappa faengt Feuer

Grappa 05 - Grappa faengt Feuer

Titel: Grappa 05 - Grappa faengt Feuer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabriella Wollenhaupt
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blattgolden ausgemalt. Vor der Ikone brannten viele dünne weiße Kerzen. Auch wenn das Paraskevi-Kloster verlassen war, kamen noch immer Gläubige hierher, um eine Kerze anzuzünden.
    Ich tat es ihnen nach und warf ein paar Drachmen in den Opferstock. Das kleine Kloster war ein Ort mit einer Aussicht, die mir den Atem nahm. Tief unten ließ der Voidomatis-Fluss sein letztes Wasser fließen, bevor er im Hochsommer versickerte. Oleanderbüsche und Kriechwacholder säumten sein Flussbett.
    Dies war nicht die Antike, dachte ich, sondern die tiefe Gläubigkeit der griechisch-orthodoxen Welt mit seinen von Männern bestimmten einsamen Klöstern, in denen christliche Rituale gepflegt wurden. Eine melancholische Welt, in der der Mensch nur so viel wert war, wie er zur Verehrung des einen und einzigen Gottes beitrug. Keine heiteren Geschichten um Götterfamilien, die sich gegenseitig hassten, liebten und betrogen.
    Der Weg entlang der Vikos-Schlucht begann oberhalb des Klosters. Rundköpfige Allium-Blüten wucherten zwischen den Stufen einer in Stein gehauenen Treppe. Vor mir erhob sich eine steile Wand, die fast unbewachsen war. Ich folgte dem Weg. Er war mühsam in den Felsen geschlagen worden und an manchen Stellen beängstigend schmal. Ich drückte mich an den Berg.
    Über mir kreischte ein Vogel. Es war ein Greif, der in den Felsen ein Nest angelegt hatte, um dort seine Brut großzuziehen. Ich suchte mit den Augen die Felsen ab. Vogelnester in Steilfelsen sind gut zu erkennen, da die jungen Vögel die Angewohnheit haben, ihr Nest nicht zu beschmutzen. Sie kacken über die Kante nach unten. Vogelkot wird weiß, wenn er trocknet. Wilderer wissen die Entleerungsrituale von Greifvögeln zu schätzen, weil sie so ihre Nester finden.
    Der Weg wurde immer schmaler. Gleich würde ich umkehren müssen.
    »Du blöde Kuh!«, hörte ich auf einmal Alfred Traunich sagen. Der Weg vor mir schlängelte sich um einen vorspringenden Felsen herum. Ich konnte die beiden nicht sehen, dafür aber hören.
    »Lass dein Gejammer! Guck nach unten! Na, wird's bald!«
    Ich pirschte mich an den Felsen heran und guckte um die Ecke. Alfred Traunich hatte seine Frau an den Rand des Weges geschoben und zwang sie, nach unten zu schauen. Almuth Traunichs Körper drückte nur noch Angst aus. Sie stemmte ihre Beine gegen den glatten Boden und hatte vor Furcht die Augen geschlossen.
    »Wenn ich dir jetzt einen kleinen Stoß gebe, landest du unten! Dann kannst du mich nicht mehr lächerlich machen!«, stieß er hervor und schob sie noch ein Stückchen weiter zum Abgrund hin.
    »Aufhören!«, schrie ich. Traunich erblickte mich und ließ seine Frau los. Almuth Traunich trat vorsichtig rückwärts zum Felsen hin.
    Ich ging langsam auf die beiden zu. Alfred Traunich holte aus der Brusttasche seines Hemdes eine Zigarre, steckte sie zwischen die Lippen und versuchte, ein Streichholz anzuzünden. Er stand mit dem Rücken zur Schlucht. Auf seinem Gesicht lag ein fettes Grinsen.
    Almuth Traunich ging wie in Trance auf ihren Mann zu, stellte sich genau vor ihn hin. Sie setzte ihre Hand auf seinen Brustkorb und ließ sie dort zunächst liegen.
    Mein Herz stockte, ich blieb stehen.
    Sie blickte ihn an und drückte ihn zum Abgrund hin. Er wich zurück. Zwischen den Absätzen seiner Schuhe und dem Fall befanden sich noch etwa dreißig Zentimeter sicherer Boden.
    Almuth Traunich zog ihre Hand zurück, sammelte Kraft und stieß mit aller Kraft zu. Er fiel rückwärts in die Tiefe, die Zigarre zwischen den Lippen und einen fassungslosen Blick in den Augen.
    Irgendwo unten knisterte Gebüsch. Dann ein dumpfes Aufprallen. Das war's.
    In diesem Augenblick schrie Almuth Traunich. Sie brüllte 25 Jahre Leid und Demütigung aus sich heraus, aber auch Entsetzen über die eigene Tat. Ich rannte zu ihr und schüttelte sie.
    »Almuth! Fassen Sie sich!« Sie schrie weiter.
    Ich schlug ihr ins Gesicht. Ihr Kopf fiel auf meine Schulter, und sie wimmerte nur noch.
    »Sagen Sie kein Wort!«, beschwor ich sie. »Lassen Sie mich machen!«
    Blitzschnell legte ich mir eine einigermaßen glaubwürdige Zeugenaussage zurecht. Ich muss verrückt sein, dachte ich, aber der Kerl war ein Ekel.
    Langsam gingen wir den Weg zurück. Ich redete auf Almuth ein, sagte, dass es nicht ihre Schuld gewesen sei, dass er es nicht besser verdient und ich genau gesehen hätte, wie er in die Schlucht gefallen sei. Beim Zigarrenanzünden habe ihm der Wind das Streichholz aus der Hand geblasen, er habe danach

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