Grappa 05 - Grappa faengt Feuer
geöffnet, Kondis saß lesend auf seinem Platz. Aris, der Busfahrer, sprach mit den Leuten, die frisch ausgepressten Orangensaft für die Besucher verkauften.
»Reden Sie mit ihm«, sagte der Pater, als er Kondis im Bus sitzen sah. Er selbst ging weiter zu dem Erfrischungsstand.
»Hallo!« Meine Stimmlage zwar gezwungen fröhlich, als ich in den Bus kletterte. »Hast du dich wieder beruhigt?«
»Lass mich in Frieden«, knurrte er und ließ seine Augen nicht von dem Buch in seiner Hand. »Noch drei Tage und der Albtraum ist vorbei. Ein für alle Mal.«
Oreganoduft und Thymianhonig
Das Schatzhaus des Atreus gehört zum Pflichtprogramm der Touristen. Atreus war der Vater des erschlagenen Agamemnon gewesen. Eigentlich war es kein Schatzhaus, sondern ein besonders großes Kuppelgrab, das früher als Grab des Agamemnon galt. Das Eingangstor zu dem Monument war 5,40 Meter hoch. Es war nach dem System des falschen Gewölbes erbaut. Steine bis zu einer Höhe von fast vierzehn Metern so aufeinandergeschichtet, dass sie sich langsam zu einer Kuppel formten. Eine perfekte Art, Gewichte zur Seite hin so zu verteilen, dass sie jahrtausendelang nicht zusammenbrachen.
Es war finster im Schatzhaus, doch es fiel noch so viel Licht hinein, dass ich die mächtige Kuppel des Daches erkennen konnte. In den Nischen der Steine hatten Spatzen ihre Nester angelegt, ihr Nachwuchs war flügge und sauste rein und raus. Auf dem Boden aus gestampfter Erde entdeckte ich viele kleine Vogelskelette. Vorwitzige Spatzenkinder, die aus dem Nest gefallen und verhungert waren.
Es war bereits Mittag, als wir mit der Besichtigung fertig waren. Am Ausgang bot eine Bauernfrau Thymianhonig an. Ich kaufte ein Pfund und dachte an den Oregano, der in einem Strauß am Gepäcknetz des Busses genau über meinem Platz befestigt war. So trocknete er seit Tagen vor sich hin und erfüllte den Bus mit einem würzigen Duft. Honig und Oregano würden mich an diese Reise erinnern, wenn ich schon längst wieder zu Hause wäre.
Es war die Zeit, um abgefüttert zu werden. Reisegruppenmägen fangen Punkt 13 Uhr zu knurren an. Meiner tat dasselbe.
Die Taverne war nah, die Tische bereits mit weißem Papier gedeckt. Ich ging in den Waschraum, um den anderen Gelegenheit zu geben, sich zu setzen. So konnte ich mir meinen Sitzplatz aussuchen.
Kondis war eingekeilt von Pater Benedikt und Martha Maus. Die beiden Unbills hockten wieder zusammen, Gerlinde von Vischering und Almuth Traunich hatten sich ihnen gegenüber postiert. Daphne plapperte mit Aris und Costas.
Ich wählte einen kleinen Tisch abseits der anderen und kramte mein Notizbuch hervor, um ein paar Gedanken zu notieren. Vielleicht wird es doch noch was mit meinem Feature, dachte ich, auch wenn sich die Geschichte dieser merkwürdigen Reisegruppe eher für ein Krimidrehbuch eignen würde.
Der Weißwein war kühl und angenehm säuerlich.
»Griechisch Salat, Tsatsiki, Lamb-chops?«, fragte der Kellner.
Ich nickte abwesend. Die letzten Tage würde ich die Touristenküche auch noch durchhalten. Wir hatten noch eine Nacht in Mykene vor uns, danach stand das berühmte Heiligtum des Asklepios in Epidaurus auf dem Plan. Dann weiter über die Straße von Korinth nach Athen und ab nach Hause.
»Darf ich?« Es war Almuth Traunich. Sie war jünger geworden, heiterer, war aufgeblüht seit dem Tag, an dem sie ihren Göttergatten ins Jenseits befördert hatte.
»Wir haben nie wieder darüber gesprochen«, stellte sie fest.
»Worüber?«, stellte ich mich dumm.
»Sie wissen schon. In der Schlucht. Warum haben Sie die Polizei belogen?« Ihre Stimme bebte vor Aufregung.
»Ich habe nicht gelogen«, widersprach ich, »es war ein Unfall. Ihr Mann wollte sich eine seiner schrecklich stinkenden Brennstäbe anzünden und tschüss. Jeder weiß doch, dass Rauchen ausgesprochen ungesund ist. 500.000 Menschen sterben in Westeuropa jährlich am Nikotinmissbrauch – hab ich neulich erst gelesen.«
»Ich muss so oft daran denken«, gestand sie, »ich weiß nicht, ob ich die Schuld ein Leben lang ertragen kann.«
»Ihr Mann war ein ausgewachsenes Ekel – und das ist noch untertrieben. Denken Sie an Ihre Angst, als er Sie zwang, in den Abgrund zu sehen! Jetzt weiß er, wie ungemütlich es da unten ist.«
Sie lachte kurz auf. »Was würde mir passieren, wenn ich die Wahrheit sage?«
»Vermutlich nichts. Es existiert ein Protokoll mit der unumstößlichen Aussage einer Augenzeugin, die selbstverständlich bei ihrer Aussage bleiben wird
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