Grappa 06 - Grappa und der Wolf
vorgenommen. Fast hätte ich das Telefonklingeln überhört.
Es war diesmal nicht der Killer, sondern Hauptkommissar Anton Brinkhoff.
»Frau Grappa«, begann er, »ich habe erst gezögert, Sie zu später Stunde noch anzurufen, doch die Sache ist wichtig. Der Mann, der Sie zu Lasottas Leiche in den Cappenberger Wald geschickt hat, ist ein international gesuchter Killer. Wir haben seine Handschrift erkannt. Der Tick mit dem Ohr – Sie verstehen? Seien Sie bitte vorsichtig und informieren Sie mich sofort, wenn er sich wieder bei Ihnen meldet.«
Ich schluckte. »Ich hab‘s irgendwie geahnt, dass das eine große Story wird. Hat der Typ einen Namen?«
Brinkhoff atmete tief durch. »Das ist das Problem. Niemand kennt seine Identität, niemand hat ihn bisher gesehen. Auf sein Konto gehen etwa 30 Morde in der ganzen Welt. Der Mann ist ein Profi, der sauber arbeitet und niemals Fehler macht. Er ist hochintelligent und kalt wie ein Eisberg. Er hält sich nur an eine Regel, und die besagt …«
»Ich weiß«, fuhr ich dazwischen, »keine Frauen, keine Kinder, keine Greise.«
»Sind Sie Hellseherin?«, staunte er.
»Bisher nicht. Er hat es mir gerade erzählt.«
»Wie bitte?«
»Er hat mich wieder angerufen, und wir haben ein wenig geplaudert.«
»Das ist ein Ding!« Brinkhoff war begeistert. »Morgen früh schicke ich einen unserer Experten, der Ihr Telefon präpariert. So schnappen wir ihn vielleicht.«
»Sie sagten doch, dass er clever ist. Dann wird er es so einrichten, dass Sie ihn nicht erwischen. Zumindest nicht durch Telefonabhören.«
»Auch Profis machen mal einen Fehler. El Lobo ist auch nur ein Mensch.«
»Wer?«
»Ach ja, ich vergaß. Das ist sein Spitzname. El Lobo. Das ist spanisch und heißt ›der Wolf‹.«
Tanz mit dem Wolf
Viele kleine Kacker werden aufmüpfig, wenn sie hinter dem Lenker eines großen Autos sitzen. Ich wollte auf der Autobahn gerade einen belgischen Brummi überholen, als er hinter mir auftauchte. Ein dunkelvioletter Rolls Royce. Ich konnte vom Inneren nichts erkennen, weil die Scheiben spiegelten. Der Fahrer ließ die Lichthupe »aufheulen«, um meinen Japaner zu scheuchen. Der Brummifahrer trat das Gaspedal voll durch. So fuhren wir eine Weile in einer schicken Zweierformation; ich kam nicht an ihm vorbei und er nicht an mir. Der Rollsfahrer hinter mir begann, seine Hupe zu malträtieren.
Wenn mich etwas überhaupt nicht aus der Ruhe bringen kann, dann ist es Nötigung im Straßenverkehr. Ich habe keine Lust auf das Spiel, das durchgeknallte Machos alltäglich auf unseren Straßen inszenieren: Beute sichten, jagen und erlegen. Ich blieb ruhig, hielt das Tempo des Brummis und wartete ab. Zwischendurch tippte ich kurz auf die Bremse, um den Rolls auf Abstand zu halten. Der Lkw verlangsamte seine Fahrt – er hatte seine Abfahrt erreicht. Ich scherte nach rechts. Die Nobelkarosse zog an mir vorbei. Ich streckte den Mittelfinger meiner linken Hand in die Luft und zeigte ihn dem Rolls-Lenker. Ob er das Zeichen großer Hochachtung bemerkt hatte, blieb mir verborgen.
Ich war auf dem Weg zur Beerdigung Hermann Lasottas. Der Tote stammte aus einem Sauerländer Dorf und sollte dort seine letzte Ruhe finden. Die Staatsanwaltschaft hatte nach der Obduktion die Leiche freigegeben. Tod durch einen einzigen Schuss ins Herz, das Ohr war unmittelbar nach dem Exitus abgeschnitten worden. El Lobo war ein Experte. Er tötete schnell und professionell, weitgehend schmerzlos.
Da war die Ausfahrt. Die gelben Schilder wiesen mir den Weg. Das war genau die Ecke, in der ein Gingko-Baum auf das Grab der Brauereitussi gepflanzt worden war, fiel mir ein. Hermann Lasottas Heimatdorf lag nur ein paar Kilometer von der Stelle entfernt.
Ich quälte mich durch einen Nadelwald, durch den eine kurvenreiche Straße führte. Plötzlich sah ich etwas Violettes zwischen den Bäumen schimmern. Es war der Rolls Royce von der Autobahn. Nun wusste ich, dass dessen Fahrer ebenfalls zu Beerdigung von Hermann Lasotta wollte.
Mein Fuß trat jetzt das Gaspedal, denn ich wollte den Mann – oder war es eine Frau? – gern kennenlernen. Wie ein Phantom glitt das Nobelauto durch die Tannen, während ich vor jeder Kurve runterschalten musste. Irgendwann hatte ich den Rolls doch wieder aus den Augen verloren.
Das Dorf lag idyllisch zwischen Wald und weiten Getreidefeldern. Ich hatte keine Ahnung, wo der Friedhof war, also steuerte ich für alle Fälle mal den Kirchturm an. Bingo, die Grabstätten erstreckten sich in
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