Grappa 06 - Grappa und der Wolf
lebenslustige Jansen mit seinem Hang zu Wein, Weib und Gesang und der verkniffene Viep, für den die Welt aus finsteren Mächten und kranken Seelen bestand, denen Widerstand geleistet werden musste. Vieps Glaube, dass nur er die Welt verändern könnte, war so stark, dass er die Realität in goldene Farben tauchte.
»Noch Fragen?«, schnarrte Jansen.
Niemand reagierte.
Eine halbe Stunde später suchte ich mit Jansen die Fotos aus. Wurbs hatte ganze Arbeit geleistet. Die Bilder waren gestochen scharf, das Licht stimmte, den Bildausschnitt legte Jansen mit der großen Papierschere fest nach dem Motto ›große Bilder sind schnell geschrieben‹.
Ich telefonierte eine Stunde lang, wartete auf die Pressemitteilung des Polizeipräsidiums, die keine Überraschungen barg, und hackte den Artikel ins System. Es war kein Problem, die 120 Zeilen zusammenzubekommen. Nach einer weiteren knappen Stunde, fünf Tassen Kaffee und zwei Mandelhörnchen setzte ich die Überschrift über mein reifes Werk:
Warum musste Hermann Lasotta sterben? – Killer schneidet Opfer Ohr ab
Und in der Unterzeile hieß es:
Gewalttat im Cappenberger Wald – ›Tageblatt‹-Reporterin findet Mordopfer.
Überwundener Widerspruch
»Habe ich Ihnen zu viel versprochen, Frau Grappa?« Es war der unbekannte Mann, dem ich die Leiche im Wald zu verdanken hatte. Ich saß zu Hause auf dem Sofa und spielte Feierabend. Gleich würde der Film von Willi Wurbs über die Mattscheibe flimmern. Schade, dass die elektronischen Medien immer einen zeitlichen Vorsprung hatten.
»Können Sie gleich noch mal anrufen?«, fragte ich den Anrufer. »Ich gucke gerade fern. Gleich läuft auf TML die Story über den toten Mann im Wald. Sie können mir auch Ihre Nummer geben, ich melde mich dann.«
Der Mann lachte amüsiert und legte auf. Ich hatte keine Zeit nachzudenken, denn Willis Film wurde bereits anmoderiert.
»Gestern Abend im Cappenberger Wald«, meldete eine kühle Blonde mit superkurzem Haar, »dort, wo sich Fuchs und Hase gute Nacht sagen, machte unser Reporter Willibald Wurbs eine schreckliche Entdeckung. Ein Mann ist kaltblütig ermordet worden, seine Leiche wurde zwischen zwei Bäumen aufgehängt. Ein Ritualmord? Die Umstände lassen eine solche Vermutung zu. Mehr zu dem tragischen Ereignis von Willibald Wurbs.«
Ich lehnte mich in meine Sofakissen zurück.
»Noch vor drei Wochen stand Hermann Lasotta, 55 Jahre, im Licht der Öffentlichkeit. Der Direktor der bekannten Wohlfahrtsorganisation Hilfe ohne Grenzen schickte 30 Lastkraftwagen mit Hilfsgütern und medizinischen Geräten in das vom Erdbeben betroffene Kasachstan.«
Auf der Mattscheibe waren Archivbilder zu sehen, die einen agilen Mann zeigten, der sich hinter einem Mikrofon platzierte. Die Kamera zoomte. Ich sah einen gepflegten Kopf und hörte wenige Sekunden später eine Stimme, die ich kannte. Lasotta war der Mann, der das Telefongespräch zwischen Carlotta Roja und mir so rüde unterbrochen hatte. Jetzt war der Ton allerdings salbungsvoll. Lasotta sprach von der Not der Menschen im Osten und der Hilfsbereitschaft der Bierstädter Bürger, die diesen Transport erst möglich gemacht hätten.
»Gestern Abend nun«, kam es aus dem TV, »wurde Lasottas Leiche in einem Waldstück bei Cappenberg gefunden. TML ist einem anonymen Hinweis nachgegangen. Lasotta wurde durch einen Schuss ins Herz getötet, sein Mörder brachte die Leiche in den Wald und band den Körper zwischen zwei Bäume.«
Die Bilder von der Leiche wurden gezeigt. Sie wirkten gespenstisch und unwirklich wie eine modern nachempfundene Kreuzigungsszene.
»Eine besonders furchtbares Detail ergab sich bei näherer Betrachtung der Leiche. Der Killer hat seinem Opfer das rechte Ohr abgeschnitten.« Sie brachten tatsächlich das Bild von der blutverkrusteten Wunde.
»Polizei und Staatsanwaltschaft tappen im tiefsten Dunkel. Politische Motive können nicht ausgeschlossen werden, auch eine Verbindung zum organisierten Verbrechen ist möglich. Immerhin hatte der Tote enge Verbindungen zu den Ländern des Ostens. Könnte er der Russenmafia in die Quere gekommen sein? Fragen, die die Polizei beantworten muss. Laut Angaben der Behörden ist Hermann Lasotta nicht in dem Wald ermordet worden. Die Staatsanwaltschaft hat eine Obduktion angeordnet, die Sicherung der Spuren ist noch nicht abgeschlossen.«
Das war's. Blondhaar versprach noch, die TML -Zuschauer auf dem Laufenden zu halten. Das Telefon klingelte. Ich drückte den Ton der Flimmerkiste
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