Grappa 06 - Grappa und der Wolf
antreibt.«
»Wunderbar«, schwärmte Amadeus Viep, »diese unglaubliche Sensibilität. Wie sie die Figur-Raum-Beziehung der blauen Vertikalen in die geistigen Zwischenräume verlagert!«
Es lag vermutlich an mir, aber ich verstand kein Wort. Ich sah nur blaue, dicke Pinselstriche, die über eine weiß getünchte Leinwand verliefen.
»Nun sag schon, was du hier machst.« Amadeus ließ nicht locker. Ich betrachtete ihn. Er hatte seine magere Gestalt in eine enge schwarze Samthose gehüllt, darüber flatterte ein weites Seidenhemd in wildem, grellem Ethno-Look.
»Schönes Hemd«, lobte ich, »hast du eine Farbberatung machen lassen?«
»Du bist wegen Frau Lasotta hier, stimmt's? Ich weiß, dass du noch immer an der Story dran bist«, ignorierte er meine Frage.
»Ja«, gab ich zu, »ich muss die Lasotta unbedingt sprechen. Der Tod ihres Mannes ist noch immer ungeklärt. Vielleicht weiß sie was.«
»Dieser Killer war's, das steht doch schon lange fest«, belehrte mich Amadeus Viep, »gestern Abend hat Tele Modern Life die ganze Geschichte gebracht. Lasotta soll gegen das Kriegswaffenkontrollgesetz verstoßen haben. TML hatte einen Zeugen, der diese Vorwürfe erhoben hat. Der Film war von deinem Freund, diesem Bluthund. Mich wundert, dass du nicht auf dem Laufenden bist.«
Die Frau neben uns zischte schon wieder. Ich zog Viep in eine Ecke. Hier konnten wir einigermaßen ungestört reden.
»Wurbs lag voll daneben. Er ist einem falschen Zeugen auf den Leim gegangen. Sein Sender hat ihn rausgeworfen.«
»Sieh an!« Amadeus Vieps Stimme triumphierte. Es war die Schadenfreude eines Menschen, der niemals selbst etwas riskieren würde und deshalb auch nicht scheitern kann.
»In dem Werk 0994 P löst die Stimmung der drei blauen Formen und der Bucht-ähnlich gestalteten Zwischenräume ganz neue Assoziationen aus. Die absichtsvolle Schlichtheit des Werkes fasziniert wegen seiner ungekünstelten Ausführung und seines kühlen unwirklichen Fjordlichtes der sich überlagernden monumentalen Reflexion. Ein prägnantes Beispiel abstrakter Malerei in ihrer körperlichsten, direktesten und suggestivsten Form.«
Luise Lasotta nippte an ihrem Sekt. Der Silberpudel zu ihren Füßen glaubte die Schau beendet und begann, aufgeregt mit dem Schwanz zu wedeln. »Platz, Männlein!«, hallte es durch den Raum. Luise Lasotta hatte im Bedarfsfall eine schrille Stimme. Männlein spurte und hockte sich wieder nieder.
»David Ortman ist auf dem Gipfel seiner Kraft. Er fährt fort, seine eigene Toleranz gegenüber dem zu überprüfen, was als Kunst gilt. Ich wünsche ihm auf diesem langen, schmerzvollen Weg viel Glück.«
Zögernder Applaus schwoll zu einem Tornado an, als der Künstler hinter einer Stellwand auftauchte und in die Mitte des Raumes trat. Der Maler war mit einem leichten Mantel bekleidet, der über den Boden schleifte. Er umarmte Luise Lasotta und drückte ihr einen Kuss auf die Wange. Männlein zerrte an des Künstlers weiter Hose und knurrte wie ein Wolf. Der Maler versetzte dem Tierchen einen unschönen Tritt, Männlein jaulte. Luise Lasotta tat so, als habe sie die spontane Tierquälerei nicht mitbekommen, doch ihre Blicke schleuderten Giftpfeile auf den Schöpfer der »blauen Vertikalen«.
Ich wartete ab, bis die Witwe mit ihrer Albinoratte im Arm ein wenig abseits stand, und pirschte mich heran.
»Ja, wie heißt du denn, du süßes Tierchen?«, flötete ich. Dabei zupfte ich Männlein liebevoll an den Öhrchen. Wie gut, dass mich meine Katzen nicht sehen konnten.
»Er heißt Leopold von Hohenschwanstein«, gab die stolze Hundemutter bekannt, »ich nenne ihn aber Poldi oder Männlein. Haben Sie auch einen Hund?«
»Ich hatte mal einen«, log ich, ohne rot zu werden. Der Weg in die Herzen vieler Menschen führt über ihre Haustiere, das war eine alte Regel.
»Ihre Rede hat mir gut gefallen«, sülzte ich, »wie Sie die Figur-Raum-Beziehung in die geistigen Zwischenräume verlagert haben, muss Ihnen erst mal jemand nachmachen. Kennen Sie den Künstler schon länger?«
Die Witwe nickte. »Ich begleite Ortmans Schaffen schon ein paar Jahre. Gefallen Ihnen die Bilder?«
»Aber natürlich. Sonst wäre ich ja nicht hier.« Ich kraulte dem Pudel die Schlabberohren.
»Ich habe vom Schicksal Ihres Mannes gehört«, klopfte ich auf den Busch, »hat die Polizei seinen Mörder noch immer nicht gefunden?«
Luise Lasotta wollte gerade antworten, als Amadeus Viep dazwischenkam.
»Ach hier bist du«, meinte er, »habt ihr euch
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