Grappa 09 - Grappa-Baby
deutlich.
Nik schnellte hoch und starrte mich an. In seinem Blick spiegelte sich unsere verfluchte Love-Story wider, der orkanähnliche Beginn, die heitere Mitte und nun jenes würdelose Ende. Und irgendwo war da noch der Wunsch zu sehen, alles ungeschehen machen, diese Szene anhalten und zurückspulen zu können.
Doch das Leben ist kein Film, sondern eine Aneinanderreihung von chemischen Prozessen, gegen die wir machtlos sind und auf die wir nur noch reagieren können.
Nik konnte in meinem Blick noch keinen bewussten Schmerz, sondern nur arktische Kälte entdecken. Der Schock hatte mich im Griff. Er senkte den Kopf und murmelte den absoluten Klassiker aller Ausreden der In-flagranti-Ertappten dieser Welt: »Es ist nicht das, was du denkst.«
Dieser Satz war meilenweit unter meinem Niveau, sogar noch unter seinem. Ein trockenes Lachen brach aus mir. »Da wäre ich nie drauf gekommen, Schatz!«
Ich hob das Tranchiermesser und ging langsam auf die beiden zu.
»Sie hat ein Messer«, kreischte Libussa. »Niki, tu doch was! Die bringt uns um!«
Nik tat nichts, er saß nur da, den Kopf noch immer gesenkt.
Libussa sprang aus dem Bett, suchte panisch ihre Sachen zusammen und verschwand aus dem Zimmer. Ich hörte die Wohnungstür zuschlagen.
Nik rührte sich nicht. Ich ging mit dem Messer auf ihn zu, stand vor ihm, wusste genau, was er wollte: Dass in diesen Sekunden etwas noch Schrecklicheres passieren würde, weil es ihn der Verantwortung enthob, sich mit Verrat und Untreue zu beschäftigen.
Ich setzte mich neben ihn, das Messer brannte in meiner Hand. Mit der stählernen Klingenspitze hob ich sein Kinn.
»Schau mich an«, forderte ich.
Langsam öffnete er die Augen. Unsere Nasenspitzen berührten sich fast. Ich hätte ihm ins Herz stechen oder seine Kehle durchschneiden können, er hätte sich nicht gewehrt. Ich betrachtete sein Gesicht – und sah, dass er litt, wie Männer immer leiden: In seiner Wange bewegte sich ein kleiner Muskel, die Lippen vibrierten, und die Augenlider flatterten. Ich hob das Messer, ließ es mit ganzer Kraft in die Matratze sausen. Nik zuckte zusammen.
»Pack deine Sachen und verschwinde.« Meine Stimme war heiser.
Die nächsten zehn Minuten beobachtete ich, wie er seine Stücke unseres gemeinsamen Lebens hektisch zusammenraffte, in einen Koffer warf. Dann ging er, sah mich kein einziges Mal mehr an.
Schwer atmend blieb ich auf dem Bett sitzend zurück. Wie sollte ich diesen verdammten Abend beenden? Im Kühlschrank wartet eine Flasche Chardonnay auf dich, fiel mir ein. Alkohol als Tröster – der schnurgerade Weg in eine Suchtkarriere. Auch egal. Wenigstens an diesem Abend.
Ich öffnete die Flasche, füllte ein Glas zur Hälfte, hielt es hoch, betrachtete die grüngelbe Kühle im Licht der Hängelampe. Tränen liefen mir über die Wangen. »Warum?«, schrie ich.
Das Glas landete an der Wand, zerklirrte in tausend Stücke. Ich nahm ein anderes, goss ein und trank.
Im CD-Player lag noch diese Jazz-Platte. Ich lief ins Schlafzimmer, riss die silberne Scheibe raus, öffnete das Fenster und schleuderte sie in den wolkenlosen Himmel – irgendwo zwischen Cassiopeia und Polarstern.
Unbeweglich und verformt
»Die intrauterine Insemination wird am häufigsten bei unerfülltem Kinderwunsch eingesetzt«, berichtete Prof. Dr. Frederik Berggrün. Wir hatten im Pinocchio gerade ein göttliches Carpaccio verspeist – hauchdünne, rohe Rinderfiletscheiben mit Olivenöl und Zitronensaft beträufelt und mit etwas Parmiggiano reggiano beraspelt. Jetzt warteten wir auf den nächsten Gang.
»Und wie läuft das?« Ich griff nach einem Stück Knoblauchbrot.
»Eigentlich ganz simpel.« Berggrün hob das Glas mit dem Prosecco und prostete mir zu. »Auf einen netten Abend.«
Auch ich nahm einen Schluck. »Das wünsche ich mir auch.«
Berggrün war ein netter Mann mit guten Umgangsformen. Er kannte die italienische Küche, konnte die Namen der Gerichte richtig aussprechen und verstand etwas von Weinen.
»Die intrauterine Insemination wird bei Paaren angewandt, bei denen die Frau organisch gesund ist. Das Problem sind die Samenzellen des Partners. Sie zeichnen sich durch mangelnde Beweglichkeit oder Verformung aus – fast schon eine Zivilisationskrankheit, die zuzunehmen scheint. Vielleicht auch eine Spätfolge von feministischen Attacken in der Vergangenheit.«
Sieh an, dachte ich, er hat ja sogar Witz.
»Über einen Katheter – also einen Plastikschlauch – wird zum Zeitpunkt des Eisprungs
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