Grappa 10 - Zu bunt für Grappa
mich. »Es geht um den Tod von Kolatschke und seiner Lebensgefährtin. Sind Sie bei Ihrer Recherche in der Sache mal auf einen Mann gestoßen, der Joe Sterner heißt? Er ist Künstler und kannte den Toten.«
»Sicher. Er hat ein Atelier in der Nähe. Aber er konnte mir nicht viel erzählen. Warum?«
»Dann haben Sie ihn wohl falsch befragt«, vermutete ich. »Mir hat er berichtet, dass er Kolatschke verdächtigt, ihn bestohlen zu haben. Und dass er seinen Antiquitätenhandel vermutlich mit gestohlener Ware betrieben hat.«
»Merkwürdig. Sind Sie sicher, dass Sie mit Sterner gesprochen haben?«
»Selbstverständlich. Ich war schließlich in seinem Atelier.«
»Das wundert mich. Mir wollte er seine Werkstatt nicht zeigen. Er sagte, er habe sie vermietet und hätte keinen Schlüssel.«
Thaler betrachtete interessiert seine Fingernägel.
»Ich werde die Sache in die Hand nehmen«, kündigte ich an und erhob mich. »Irgendwas ist da faul – ich hab ein Näschen dafür.«
»Mag sein«, meinte Thaler gelangweilt. »Wenn Sie mich fragen – ich halte die Geschichte für abgeschlossen. Mann erschießt Frau und sich selbst. Ganz alltägliche Geschichte.«
Er formte aus seiner Hand eine Pistole, richtete sie auf meinen Oberkörper, drückte ab, legte seinen Zeigefinger an den Mund und machte »puff«.
Im Arbeiten liegt doch das Geheimnis, dass es dem Menschen die zweite Jugend schenken kann.
Überraschung
Ich hatte Mühe, Sterners Atelier wieder zu finden. Gestern Nacht hatte alles anders ausgesehen oder ich hatte es anders wahr genommen, als ich mich am Arm dieses Mannes zu einem erotischen Erlebnis schleppen ließ. Für einen Moment schloss ich die Augen und hielt den Atem an, um ein Bild und ein Gefühl zu erhaschen.
Der Eingang war verschlossen. Ich klopfte an die Tür, denn eine Klingel gab es nicht. Nichts geschah. Ich strich um das Haus herum, versuchte durch die Fenster nach innen zu schauen. Ja, hier war ich richtig. Da standen die mit Tüchern verhängten Skulpturen, sogar die Stelle auf dem Fußboden, wo wir es getan hatten, konnte ich identifizieren.
Unschlüssig wartete ich, wollte schon wieder gehen, als ich plötzlich ein Geräusch hörte.
Ein Mann trat aus der Tür. Er war klein und schmächtig, trug einen Malerkittel mit Farbspuren.
»Haben Sie gegen die Tür gehauen?«, fragte er ziemlich unfreundlich.
»Exakt. Ich suche Herrn Sterner.«
»Ich bin Sterner«, behauptete er. »Was wollen Sie?«
»Ich suche Joe Sterner.«
»Ja ... und?«
Ich verstand die Frage nicht. »Joe Sterner! Verstehen Sie nicht?«
»Was soll das? Ich bin Joe Sterner!«
»Nein!«
»Doch. Und jetzt sagen Sie, wer Sie sind.«
Ich stellte mich vor, erzählte ihm von dem Mann, der sich mir als Sterner vorgestellt hatte. »Er ist etwa Mitte vierzig, ziemlich groß, kräftig, aber nicht dick, hat blonde Haare, die ziemlich durcheinander waren. Er sah irgendwie ...« Ich suchte nach Worten. »... bodenständig aus, wie ein Mann, der auf dem Land lebt.«
»Das muss Cortez gewesen sein«, vermutete Sterner. »Ich hab mein Atelier an ihn vermietet. Heute früh ist er ausgezogen.«
»Cortez?« Ich konnte es nicht fassen.
»Wollen Sie reinkommen und sich setzen?«, bot Sterner an. Er war viel freundlicher geworden.
»Wissen Sie«, begann er zu erzählen, »ich bin Maler. Ich fertige Porträts an. Manchmal auf Bestellung – für Geburtstage, Jubiläen oder so.«
»Welchen Stil malen Sie?« Es interessierte mich nicht, mit was er seine Leinwände vollklatschte – aber ich wollte höflich sein. Meine Gedanken schlugen Purzelbäume in meinem Hirn, eine Mischung aus Enttäuschung, Scham und Wut begann sich in meinem Inneren zusammenzuballen.
»Ich male den Stil, den der Kunde sich wünscht. Kommen Sie – ich zeige Ihnen mal ein paar Sachen von mir.«
Ich folgte ihm. Der Raum sah aus wie ich ihn in Erinnerung hatte. Dieser Cortez hatte allerdings aufgeräumt. Die Skizzen waren verschwunden, die Gläser, die wir benutzt hatten, gereinigt und die Decke, mit der ich ihn zugedeckt hatte, war nicht mehr da.
»Schauen Sie!«
Sterner hielt mir ein quadratisches Ölbild entgegen. Es zeigte einen Mann mit einem immensen Doppelkinn, der selbstgefällig aus dem Bild guckte.
»Sehr imposant«, log ich. »Wer ist das?«
»Der Vorstandschef einer Eisenhütte im Sauerland«, plapperte Sterner. »Seine Belegschaft hat es bei mir bestellt, im Stil von Rembrandt. Ich hab's nach einem Foto gemalt, denn es sollte eine Überraschung
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